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Frieden schaffen, Brücken bauen, Versöhnung stiften

In seiner Predigt rief Erzbischof emeritus Dr. Robert Zollitsch dazu auf, an diesem Pfingstfest Jesu Friedensaufruf neu und vertieft zu hören.

Die Pfingstmesse ist für viele Banater Schwaben der emotionale Höhepunkt des Heimattages. Zelebriert wurde die Messe in der vollbesetzten Donauhalle von Dr. Robert Zollitsch, emeritierter Freiburger Erzbischof, zusammen mit Monsignore Johann Dirschl, Generalvikar der Diözese Temeswar, Monsignore Andreas Straub, Pfarrer Peter Zillich und Pfarrer Markus Krastl. Fotos: Oleg Kuchar

Predigt von Erzbischof emeritus Dr. Robert Zollitsch bei der Pfingstmesse in der Donauhalle

Meine lieben donauschwäbischen Landsleute, werte Gäste, Schwestern und Brüder in der Gemeinschaft des Glaubens!

Es mag auf den ersten Blick wie eine kleine Nebensächlichkeit erscheinen, doch bei genauerem Hinhören weckt es unsere Aufmerksamkeit und macht nachdenklich, dass Jesus im heutigen Sonntags- und Festtagsevangelium seinen Jüngern gleich zweimal den Frieden wünscht. Offensichtlich liegt Jesus viel daran, dass wir Menschen in Frieden und in Frieden untereinander leben und dass wir den Frieden haben, den er verheißt und den er geben will.

Welch katastrophale Folgen Kriege haben, haben Europa und gerade auch wir Donauschwaben im vergangenen Jahrhundert bitter und grausam erleben müssen. Umso mehr sind wir dankbar dafür, dass wir in Europa seit siebzig Jahren keinen Krieg mehr hatten und heute, Gott sei Dank, in Frieden leben dürfen. Doch wir brauchen unseren Blick nur nach Südosten zu richten, in Richtung unserer alten Heimat, auf die letzten Kriege auf dem Balkan, in Serbien, im ehemaligen Jugoslawien, um uns dessen bewusst zu werden, wie gefährdet der Friede in unserer Welt ist. Und bis heute leiden wir Donauschwaben an den Folgen der beiden Weltkriege, die so vieles zerstört haben. So hören wir denn mit wacher Aufmerksamkeit die Friedensverheißung Jesu, weil wir uns mit ganzem Herzen nach diesem Frieden sehnen und voller Hoffnung danach ausschauen.

Hundert Jahre nach dem Ende des Ersten Weltkrieges, der unsere donauschwäbischen Siedlungsgebiete im Habsburger Reich zerrissen und rücksichtslos und brutal auf drei Staaten aufteilte, feiern wir heute hier in Ulm den Heimattag der Banater Schwaben. Was 300 Jahre Heimat von Generationen von deutschen Siedlern im Südosten war, lebt nicht nur in unserer Erinnerung, sondern vor allem in unserem Herzen. Denn der Dichter Jean Paul hat zweifellos Recht, wenn er feststellt: „Die Erinnerung ist das einzige Paradies, aus dem wir nicht vertriebenen werden können.“ Ganz gleich, liebe Schwestern, liebe Brüder, ob die Heimat, die wir verloren haben, oder die wir aufgrund der veränderten Verhältnisse aufgeben mussten, ein Stück Paradies war oder nicht – es gibt keinen Grund, uns diese Erinnerung nehmen zu lassen.

Unsere Vorfahren haben sich im Südosten nicht nur eine Heimat geschaffen, sondern auch ein frucht-bares Land erarbeitet, und dies, wie mein Filipowaer Landsmann, der Priester und Politiker Stefan Augsburger, bleibend formulierte, „nicht mit dem Schwert, sondern mit der Pflugschar erobert als Kinder des Friedens und Helden der Arbeit“. Was in meiner Erinnerung beeindruckend lebendig ist, sind nicht nur die weiten fruchtbaren Felder im Banat, in der Batschka, es ist nicht weniger die Vielfalt der Völker und Sprachen, die Fülle der verschiedenen Traditionen, die jahrhundertelang miteinander gelebt und einander bereichert haben. Dass unsere Priester in mehreren Sprachen predigten, war selbstverständlich. Bischof Martin Roos tut es bis heute in drei Sprachen und sein Nachfolger, den ich in Reschitza kennenlernen durfte, macht es ebenso. Mein Landsmann Wendelin Schmidt brachte es fertig, in der Batschka in fünf Sprachen zu predigen. Man könnte fast an ein kleines Pfingstwunder denken, wie in Jerusalem an Pfingsten, wo die Kenntnis der anderen Sprachen zu einer Brücke wurde, die zusammenführte und verband. Unsere Erinnerung prägt das Bild eines kleinen Europas von mehreren Sprachen und Völkern, von verschiedenen Konfessionen und Traditionen, ein Europa, das durch die Katastrophe zweier Weltkriege und einen überbordenden krankhaften Nationalismus in dieser Weise leider ein brutales Ende fand.

Die Botschaft des heutigen Pfingstfestes ist eine ganz andere, liebe Schwestern, liebe Brüder. Gottes heiliger Geist baut Brücken zwischen den Menschen, stiftet Beziehungen und schafft Gemeinschaft. Das ist die Erfahrung der Jünger Jesu in Jerusalem. Die Menschen verschiedener Sprachen, die zum Pfingstfest in Jerusalem zusammen sind, hören die Apostel in ihrer je eigenen Sprache sprechen. Sie verstehen und wissen sich verstanden. Es ist die Kraft des heiligen Geistes, die diese Brücken der Verständigung baut, aufbaut und ausbaut. Dreitausend Menschen finden an diesem Tag in Jerusalem zueinander, indem sie zum Glauben an Jesus Christus finden. Ja, Jesus Christus ist es, der zusammenführt, der Brücken baut und Versöhnung stiftet. Er ist vor Gott selbst für uns in die Bresche gesprungen und hat uns mit Gott versöhnt. Mehr noch: Er hat, wie der Apostel Paulus schreibt, Juden und Griechen in seinem Leib zusammengeführt, die Völker in seinem Leib, in seiner Kirche vereinigt und uns Christen den Dienst der Versöhnung aufgetragen.

Pfingsten führt uns vor Augen, dass Gott uns seinen heiligen Geist gibt, den Geist der Versöhnung, der Verständigung, den Geist der Gemeinschaft und der Liebe. In der Freude über das Geschenk des heiligen Geistes, der die Vielen – auch die Fremden – zu Schwestern und Brüdern zusammenführt, stärken die Christen in Jerusalem einander im Glauben, überbücken alle Verschiedenheiten und werden in der Dankbarkeit des Herzens, wie die Apostelgeschichte schildert, zur Gemeinschaft, in der der eine für den anderen da ist und alle gemeinsam nach vorne schauen.

Wir machen heute, liebe Schwestern, liebe Brüder, die Erfahrung, dass die Welt immer näher zusammenrückt und die Verflechtungen immer enger werden. Die Stichworte Globalisierung, digitale Vernetzung und die damit verbundenen Auswirkungen sind uns allen vertraut. Aber die weltweite Vernetzung, die vorrangig eine mediale und wirtschaft-liche ist, führt nicht von selbst dazu, dass wir uns als eine Weltgemeinschaft fühlen, als Glieder ein und derselben Menschheitsfamilie, in der wir die Brücken der Verantwortung füreinander beständig erneuern und festigen. Doch wo dies nicht geschieht, werden Beziehungen brüchig, brechen Verbindungen ein und tun sich menschliche Abgründe auf. Die Konflikte in der Ukraine führen uns dies exemplarisch und auf dramatische Weise vor Augen, wie auch die Spannungen und kriegerischen Auseinandersetzungen in Syrien und einer Reihe von Ländern Afrikas.

Lange Zeit meinten wir in Europa, aus den Katastrophen der beiden Weltkriege genügend gelernt zu haben, um Grenzen abzubauen und ein gemeinsames Europa in Frieden und Freiheit zu schaffen. Doch heute müssen wir erschrocken feststellen, dass ein neuer, enger und aggressiver Nationalismus sich breitmacht bei uns in Europa, der die Gefahr birgt, Europa erneut in die Katastrophe und an den Rand des Untergangs zu führen. Die Botschaft von Pfingsten ist eine ganz andere und der Auftrag Jesu lautet: Frieden schaffen, Brücken bauen, Versöhnung stiften.

Wenn ich meinen Geburtsort besuche und dort den Menschen begegne, dann spreche ich nie von dem, was geschehen ist, nie von Vergeltung und Schuld. Ich gehe zwar an die Gedenkkreuze dort und gedenke der Opfer, der vielen Toten, aber ich habe nie von Schuld und Aufrechnung gesprochen, sondern stets von Brückenbau und vom gemeinsamen Weg in eine neue Zukunft. Und es ist für Sie, liebe Banater Schwaben, als Spätaussiedler leichter, die Verbindung zur ehemaligen Heimat aufrechtzuerhalten und Zeichen der bleibenden Verbundenheit zu setzen, Brücken nach Europa zu bauen und Versöhnung zu leben. Wir haben heute viele Beispiele dafür gehört und ich bin Ihnen dankbar, liebe Landsleute, dass Sie das tun.

Angesichts der fruchtbaren Kolonisation und Aufbauarbeit unserer Vorfahren, aber auch angesichts der Katastrophe, die fast zum Untergang unseres Volksstammes führte, sehe ich für uns Donauschwaben, für Heimatvertriebene und Spätaussiedler den Auftrag, Brücken zu einer Zukunft in Vielfalt und gegenseitigem Respekt zu bauen und für Versöhnung einzutreten, wo immer dies angezeigt ist. Das ist es, was der heilige Geist uns nahelegt und wozu er uns die Kraft gibt. Nicht zuletzt heißt das für Sie und uns, aktiv am vereinten Europa, an einem Europa in Frieden und Vielfalt weiterzubauen. Denn nicht Nationalismus und Abschottung führen in die Zukunft, sondern das Wirken und die Sprache des heiligen Geistes, des Geistes Gottes, die Sprache der Liebe und der Versöhnung. Diese Sprache überwindet Grenzen und öffnet Türen. Die Sprache des Friedens, das heißt der Liebe und der Verständigung, die Sprache des Gottvertrauens ist die einzige tragfähige Brücke zu unseren Mitmenschen und zwischen den verschiedenen Völkern.  

Gottes heiliger Geist bewegt uns und gibt uns die Kraft, diese Sprache der Verständigung zu sprechen und das Alphabet von Frieden und gegenseitigem Respekt immer neu zu erlernen. In der Kraft des Geistes Gottes kann Wirklichkeit werden, was wir alle ersehnen: eine Welt in Frieden, ein Europa ohne Nationalismen und Vorurteile, eine Gemeinschaft aus der Kraft Gottes, eine Gemeinschaft aus vielen Völkern, Nationen und Sprachen, getragen von Versöhnung, Verständigung und Frieden und im Wissen um die Verantwortung, die wir tragen vor Gott und den Menschen.

In jeder heiligen Messe, liebe Schwestern, liebe Brüder, so auch heute, hören wir den Gruß und die Verheißung Jesu: Der Friede sei mit euch. Die Feier des Gottesdienstes, die Begegnung mit Jesus will Frieden schaffen in uns und in unserer Welt. Und vielleicht hören wir Jesu Friedensaufruf heute neu und vertieft. Der Friedensgruß aus dem Munde Jesu ist die ermutigende Zusage an uns: Schließt euch nicht ein, verschließt euch nicht vor den Nöten und Sorgen eurer Mitmenschen und der Welt, packt an, baut Brücken, öffnet euch und euer Herz für den Geist Gottes. Der Katholikentag in Münster hatte die Devise: „Sucht Frieden“. Ich möchte dies ergänzen und sagen: Schafft Frieden! Das ist es wirklich, was in die Zukunft wirkt, denn Frieden zu schaffen und Frieden zu leben ist unser Auftrag, das ist der Auftrag von Pfingsten. Und dazu sollen wir heute neu ja sagen. Amen.