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Schmiergeld für die Ausreise

Die Zeitung „Timişoara internaţional“ veröffentlichte in der Ausgabe vom 12. März 1994 eine Liste mit 117 Namen von Banater Schwaben, die von Nicolae Căpraru betrogen worden waren. Einsender: Ernst Meinhardt

Wenn man Banater Schwaben glauben darf, dann ist in den 1980-er Jahren fast niemand aus Rumänien ausgereist, wenn er nicht „schmierte“, das heißt, wenn er nicht beträchtliche Summen an Leute zahlte, denen nachgesagt wurde, sie hätten bei der Securitate Einfluss auf die Genehmigung von Ausreiseanträgen. Dieses Schmiergeldunwesen gab es auch in Siebenbürgen. Im Banat war es aber viel stärker ausgeprägt. Wenn sich zum Beispiel herumsprach, dass der berühmte „Gärtner“ in Temeswar Geld annahm, dann sind die Banater Schwaben zu seinem Haus gepilgert, als wäre es eine Wallfahrtsstätte. Der „Gärtner“ nahm nur zu bestimmten Zeiten Schmiergeld an. Seine „Tarife“ lagen zuletzt bei 16000 DM für einen Akademiker und 8000 DM für alle anderen. Das ist deutlich mehr als der „offizielle“ Ablösebetrag, den Bonn an Bukarest für Aussiedler zahlte. Zuletzt waren es 8950 DM pro Person. Zu dem Schmiergeld in DM kamen erhebliche Beträge in Lei dazu. Darüber hinaus mussten die Ausreisewilligen Naturalien wie Wein, Schinken oder Speck „vorbeibringen“ oder „Geschenke“ aus dem Quelle- oder Neckermann-Katalog besorgen.

Dass wir über das Schmiergeldunwesen im Banat einigermaßen im Bilde sind, verdanken wir nicht der Auskunftsfreudigkeit der Banater Schwaben. Sie hüllen sich auch heute, dreißig und mehr Jahre nach ihrer Ausreise, immer noch in Schweigen. Wenn sie überhaupt darüber sprechen, dann immer nur mit dem Zusatz: „Das darfst du aber nicht veröffentlichen und meinen Namen nicht nennen.“ Um es ganz klar zu sagen: „Enthüllungen“ dieser Art, in denen wir Ross und Reiter nicht nennen dürfen, sind unbrauchbar.

Dass wir zumindest einiges über das Thema „Schmiergeld für die Ausreise“ wissen, ist in erster Linie das Verdienst der rumänischen Zeitung „Timişoara internaţional“. Sie berichtete zu Beginn des Jahres 1994 in mehreren aufeinander folgenden Ausgaben darüber, beschränkte sich aber auf das Banat. In den Berichten ging es vor allem um hereingelegte Banater Schwaben, also um Leute, die geschmiert hatten, die aber bis zum Sturz des Kommunismus 1989 dennoch nicht ausreisen durften. Nach der rumänischen Revolution wandten sie sich an rumänische Zivil- und Militärgerichte, an die deutsche Botschaft in Bukarest sowie an den damaligen rumänischen Präsidenten Ion Iliescu und forderten ihr Geld zurück. Die Zeitung „Timişoara internaţional“ erfuhr davon, recherchierte weiter und enthüllte Einzelheiten über dieses Geschäft. In der Ausgabe vom 12. März 1994 veröffentlichte sie zum Beispiel eine Liste mit 117 Namen von Leuten, die allein vom „Gärtner“ betrogen worden waren. Die Liste enthält genaue Angaben zu den entscheidenden Fragen: Wer hat ihm wann wie viel Schmiergeld für wie viele Personen gezahlt? Sogar der Wohnort der Schmiergeldzahler ist in den Listen enthalten. „Timişoara internaţional“ enthüllte auch die Klarnamen der wichtigsten Banater Schmiergeldkassierer. Der „Gärtner“ hieß zum Beispiel mit richtigem Namen Nicolae Căpraru. Außer ihm gab es in Temeswar noch den „Notar“ George oder Gheorghe Bogdan, den „Juristen“ Sava Simcelescu oder den Miliz-Hauptmann Viorel Bucur. Dem Netzwerk, das Bucur führte, gehörten dreizehn „Mitarbeiter“ an. Sie hatten die Aufgabe, das Schmiergeld von den ausreisewilligen Banater Schwaben zu kassieren und bei Bucur abzuliefern. Auch die Klarnamen dieser „Mitarbeiter“ enthüllt „Timişoara internaţional“. Darunter sind rumänische Namen ebenso wie deutsche oder arabische. Wie Bucurs Netzwerk dürfte auch das Netzwerk von Bogdan funktioniert haben. Ein Banater Schwabe berichtet in seiner Autobiografie, dass er zwar mit Bogdan in dessen Temeswarer Haus verhandelte, dass aber ein Vertrauter von Bogdan das Schmiergeld bei ihm in Großsanktnikolaus abholte. Dieser „Geldbote“ war Banater Schwabe.

Dass wir die Namen der wichtigsten Schmiergeldkassierer in Arad kennen, verdanken wir dem deutschen Rechtsanwalt und CDU-Bundestagsabgeordneten Dr. Heinz Günther Hüsch. Dr. Hüsch verhandelte im Auftrag der Bundesregierung von 1968 bis 1989 mit Bukarest über die Ausreise von Deutschen aus Rumänien. In seinen Verhandlungen mit der rumänischen Seite protestierte er wiederholte Male gegen das Schmiergeldunwesen, und er nannte auch die Namen und Adressen der Schmiergeldkassierer. In Temeswar waren es die schon erwähnten Căpraru und Bogdan, in Arad Gheorghe Benea und Boc. Diese Namen tauchen auch in einem Protestschreiben auf, das die Bundesregierung 1983 durch Vertreter der Deutschen Botschaft im Bukarester Innenministerium übergeben ließ. Wie Boc mit Vornamen hieß, ob das überhaupt sein richtiger Name war, wissen wir bis heute nicht.

Manches über das Schmiergeldunwesen wissen wir darüber hinaus aus der Erinnerungsliteratur. In Chroniken von Banater Ortschaften, zum Beispiel Sackelhausen oder Alexanderhausen, oder in Autobiografien – beispielsweise jene von Lothar Blickling – berichten Banater Schwaben, wann sie wen mit wie viel Geld bestochen haben, um selbst ausreisen zu dürfen oder um die Ausreise von Angehörigen zu erreichen.

Demgegenüber wissen wir über Schmiergeldzahlungen in Siebenbürgen fast nichts. Vor zwölf Jahren berichtete der inzwischen verstorbene rumänische Historiker Mihai Pelin, dass es in Hermannstadt einen Schmiergeldkassierer gab, den die Sachsen unter dem Namen „Schwarzer Mann“ („omul negru“) kannten. Einen weiteren Schmiergeldkassierer gab es Pelin zufolge in Agnetheln. Dieser Mann soll unter dem Namen „magaziner“ bekannt gewesen sein, zu Deutsch in etwa „Lagerhalter“. In dem Interview, das 2006 für das rumänische Fernsehen geführt wurde, nennt Pelin aber für keinen der beiden Männer einen Klarnamen. Auf einer Rumänien-Tagung, die im Februar 2018 im bayerischen Bad Kissingen stattfand, bestätigten Teilnehmer, dass es den „Schwarzen Mann“ in Hermannstadt tatsächlich gab. Einzelheiten wollte aber niemand preisgeben. „Ich weiß, wer er ist. Aber ich nenne seinen Namen nicht. Viele hier kennen ihn und wären geschockt, wenn sie ihn hörten.“ Mehr als Aussagen dieser Art kamen weder in den Wortmeldungen nach dem Vortrag über das Thema „Freikauf Rumänien“, noch in Einzelgesprächen. Auch da gilt das oben Gesagte: So spannend solche Andeutungen auch klingen mögen, „letztlich führen sie nicht weiter, nennen wir nicht Ross und Reiter“.