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Eine Chance in der Katastrophe

Zum Tod des Filmregisseurs Răzvan Georgescu - Er ist nur 51 Jahre alt geworden, der Filmregisseur Răzvan Georgescu, ehemaliger Lenauschüler, der uns beim Lenautreffen 2011 in Neusäß einen so herrlich reflektierten Blick auf sein Dasein als (rumänische) Minderheit in der (rumäniendeutschen) Minderheit ermöglichte. Mit seinem Essay „Ein ESCU unter Deutschen“ brachte er uns nicht nur zum Lachen, sondern zeigte eine Perspektive auf, die die wenigsten von uns so je wahrgenommen hatten. Klar, reflektiert, aber auch berührend und persönlich. So wie auch seine Filme sind.

Damals, 2011, hatte er seinen „Mitbewohner im obersten Stock“ bereits. Den Tumor im Gehirn, der seit 2003 seinem Leben eine neue Wende gab. Der ihn dazu bewog, die verbliebene Zeit für Dinge zu nutzen, die ihn wirklich interessierten. Mit der Prognose, „du hast noch drei Jahre zu leben“, ging er daran, einen Weg zu suchen, der ihn beruflich und privat zufriedenstellen sollte. Seinen Weg. Das gab er auch Adriana Cârcu zu Protokoll, als sie mit ihm – wie mit etlichen anderen rumänischen Künstlern, die im Ausland leben – im Jahr 2008 ein ausführliches Gespräch führte. „Ich habe ein Jahr gebraucht, um zu lernen, dass in dieser Katastrophe auch eine Chance liegt. Um zu sehen, dass sie auch ihre guten Seiten hat.“

Aus der persönlichen Betroffenheit heraus entstand der Film „Testimonial“ oder deutsch „Lebens(w)ende“, für den er Interviews mit Künstlern führte, die ebenfalls mit dem nahen Tod konfrontiert worden waren. Es ging dabei nicht um die Details der Krankheitsbewältigung, sondern um die Auswirkungen der Erkrankung auf die künstlerische Kreativität. Der Film wurde mit dem Prix Europa 2008 ausgezeichnet. In weiteren Filmen, die Răzvan Georgescu machte, griff er heiße Eisen an, Themen, die aus seiner Sicht dringend aufgearbeitet werden mussten und die er unter den gegebenen Umständen nicht aufschieben konnte: Die von Ceauşescu 1966 per Dekret verordneten Geburten, die im Volksmund „Decreţei“ genannt wurden („Kinder des Dekrets“, das Abtreibungen verbot und unter harte Bestrafung stellte), hatte sein Dokumentarfilm „Das Experiment 770 – Gebären auf Befehl“ im Visier.

2014 erschien seine umfassende Filmdokumentation „Ein Pass für Deutschland“, die anhand der Aussagen einzelner Betroffener, aber auch von beteiligten Akteuren wie Heinz Günther Hüsch oder Hans-Dietrich Genscher die durch Schmiergelder und offizielle Zahlungen an den rumänischen Staat geförderte Abwanderung der Rumäniendeutschen in die Bundesrepublik erstmals offen und schonungslos in ihrer gesamten Vielschichtigkeit darstellte. Zusammen mit Rechtsanwalt Dr. Heinz Günther Hüsch, dem langjährigen deutschen Verhandlungsführer in Sachen Freikauf der Rumäniendeutschen, und den Journalisten Hannelore Baier und Ernst Meinhardt, die aufgrund minutiöser Recherchen das Thema publizistisch aufgearbeitet hatten, erhielt Răzvan Georgescu 2015 den Förderpreis zum Donauschwäbischen Kulturpreis des Landes Baden-Württemberg.

Doch die Belastung durch die Krankheit wirkte sich, nicht zuletzt durch den Drang zur Verwirklichung beruflicher Pläne, auch auf das Familienleben und die Ehe mit Tina aus. Die Beziehung der beiden bestand schon seit der gemeinsamen Schulzeit und hatte bereits einige ungewollte Trennungen (Militär, Auswanderung) und Schwierigkeiten zu bewältigen gehabt. Der Tumor als neues Familienmitglied entpuppte sich als echte Zerreißprobe, der sich die beiden mit jeweils eigenen schriftlichen Reflexionen zu stellen versuchten. Das Buch „Die zärtliche Berührung“, das daraus entstand, ist eine berührende „Biopsie einer Liebe“, wie im Untertitel definiert. Als ich es mir beim Lenautreffen 2011 von beiden signieren ließ, schrieb Tina mir als Quintessenz der Erkenntnis hinein: „In jeder Krise steckt eine große Chance“.

Wir hoffen sehr, dass die zehn Jahre, um die die erste Prognose überboten wurde, eine Chance waren – für Răzvan als Filmemacher und für die Familie, für die er noch da sein konnte. Die Nachricht von seinem Tod hat uns alle dennoch unvorbereitet getroffen. Zu sehr hofften wir, dass es weiterhin eine gewisse Normalität geben würde. Dass nach dem „Pass für Deutschland“ Film auf Film folgen könnte – spannende, uns alle berührende und betreffende Filme hätten es sein können. Dass er auch beim nächsten Lenautreffen erscheinen und uns weitere scharfsinnige Beobachtungen aus der Perspektive des „Minderheits-Rumänen“ anbieten würde. Diese Hoffnung wurde uns genommen. Tinas Schwester Ines schrieb ihm zum Abschied: „Wir werden nie vergessen, was wir von dir gelernt haben: bedingungslose Liebe, Bescheidenheit, Zurückhaltung, Mut und Hoffnung.“ Das bleibt.

Liebe Tina, wir wünschen Dir, den Kindern und der ganzen Familie, dass auch in dieser Krise eine Chance wächst. Es ist vielleicht tröstlich, dass Răzvan die Kinder erwachsen werden sah und einige seiner Pläne umsetzen konnte. Die Spuren, die er hinterlassen hat, wirken aber auch über Eure Familie hinaus. Seine Filme begleiten uns, halten uns einen Spiegel vor, aus seiner Perspektive. Auch wir Lenauschüler werden ihn vermissen.    

Als Hommage an Răzvan Georgescu wird sein Essay „Ein ESCU unter Deutschen“ in der nächsten „Banater Post“ veröffentlicht.