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Was war, was ist, was wird

Gwénola Sebaux

Französische Forscherin untersucht Entwicklung der Gruppenidentität der Banater Deutschen in der alten und neuen Heimat.

Von Siebenbürgen höre man manchmal in Frankreich, sagt Prof. Dr. Gwénola Sebaux; vom Banat hingegen habe keiner eine Ahnung. Das will die Hochschullehrerin an der privaten Université Catholique de l’Ouest im nordwestfranzösischen Angers ändern. Sie widmet ihre Habilitationsschrift einem kultursoziologischen Vergleich zwischen den im rumänischen Banat verbliebenen Deutschen und ihren in die Bundesrepublik gezogenen Brüder und Schwestern. „Ziel ist, dem französischen Publikum eine Region Südosteuropas am Beispiel der Banater Deutschen vorzustellen“, sagte Sebaux am 1. Dezember 2010 in einem Vortrag über „Identitätsfragen der Banater Schwaben im europäischen Kontext“ an der Friedrich - Schiller - Universität in Jena. Dort war sie Gast des international besetzten DFG-Graduiertenkollegs 1412. Dieses untersucht seit 2006 mit Förderung der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) und des Freistaates Thüringen „Kulturelle Orientierungen und gesellschaftliche Ordnungsstrukturen in Südosteuropa“. In ihrer Arbeit will sie verbinden, „was war, was ist, was wird“, erläuterte die 49-jährige Sebaux am Rande ihres Vortrages. So untersucht sie die Entwicklung der Gruppenidentität der Banater Deutschen sowohl in der alten als auch in der neuen Heimat. Sie prüft „mit der vorurteilslosen Distanz einer Französin“, ob und inwiefern diese Identität den jeweiligen Assimilationsprozessen standhält, ob sich gar eine „grenzübergreifende Identität“ herausgebildet hat und wie weit die „mythische Dimension in der Eigen- und Fremdwahrnehmung“ reicht. Der Forscherin geht es um das „Spannungsfeld zwischen Identitätsbewahrung und Identitätswandel“ einer Gemeinschaft, die sich bei näherer Betrachtung durch eine so große Vielfalt auszeichne, dass Gemeinschaftsgefühle erstaunlich seien.

Auf die Banater Deutschen kam die Zivilisationistin – das interdisziplinäre Fach „Zivilisation“ ist an ihrer Hochschule ein Zweig der Germanistik – im Zuge ihrer Analysen der bundesdeutschen Aussiedler-/Spätaussiedler-Politik, die in ihre Dissertation Eingang gefunden hatten. Für ihre Habilitationsschrift studierte Sebaux nicht nur reichlich Literatur, die Banater Post oder die Allgemeine Deutsche Zeitung für Rumänien – im September 2010 hatte sie sich zwei Wochen auch im Banat aufgehalten, in einem „faszinierenden Forschungsfeld im mittel- und osteuropäischen Kulturraum“, um Land und Leute kennenzulernen. Eine weitere Rumänienreise soll im Mai 2011 folgen. Ebenso sucht sie das Gespräch zu den Banater Schwaben und den Berglanddeutschen in der Bundesrepublik. Zwar beschränkt sie ihre Studie aus methodischen Gründen auf Entwicklungen der „zwei Jahrzehnte nach der sogenannten Revolution“. Diese sollen allerdings vor einem weit größeren Hintergrund dargestellt werden, „weil die heutigen Identitätsbildungsprozesse ihren Ursprung zum einen in der Ansiedlung im 18. Jahrhundert haben“, so die Migrations-, Integrations- und Minderheitenforscherin, „zum anderen in den Auswirkungen des Zweiten Weltkrieges“ mit den Russland- und Baragan-Deportationen sowie der Aussiedlung, die im „Massenexodus“ Anfang der Neunziger gipfelte.

Diese geschichtlichen Eckpunkte für die Gemeinschaft betrachtet Sebaux als „entscheidende, schmerzhafte Erinnerungsorte der Banater Deutschen“. „Es ist schade, dass so viele Deutsche das Banat verlassen haben“, sagte Sebaux einerseits. Andererseits zollt sie den Auswanderern Respekt, denn „es gehört viel Mut dazu“. Für das Land, das sie aufgenommen hat, seien sie „eine Bereicherung“, ist ihre Überzeugung. Entsprechend groß sei der Verlust dort, wo diese Leute nicht gehalten werden konnten. Der rumänische Staat habe „wahrscheinlich zu spät“ erkannt, was seine Deutschen wert seien. Respekt zollt Sebaux aber auch den im Banat verbliebenen Deutschen. Deren „Pragmatismus“ und „Realismus“ und Glauben an eine „Zukunft im dynamischen Rumänien“ habe sie genauso überrascht wie der Umstand, dass die rumänische Bevölkerung des Banats zur deutschen Kultur stehe, obwohl die meisten Deutschen ausgewandert seien. Die französische Forscherin ist „fasziniert“ davon, dass hauptsächlich ein rumänisches Publikum die Exis-tenz banatdeutscher Institutionen sichert, wie das Staatstheater oder die LenauSchule im Temeswar. „Die Rumänen wollen weiterhin etwas von diesem Deutschsein haben“, sagte Sebaux und erklärt sich das wiederum mit dem „Pragmatismus“ des Banater Menschenschlages. Eine so ausgesprochen freundliche Wahrnehmung der deutschen Minderheit wie in Rumänien sei in keinem anderen osteuropäischen Staat vorhanden, lautet ihre Erfahrung. Das liege auch daran, dass es nie einen rumänisch-deutschen Territorialkonflikt gegeben habe.

Erst recht seit dem Aufenthalt im Banat spricht Sebaux konsequent über Banater Deutsche und nicht über Banater Schwaben. Letzteres sei schon zur Zeit seiner Entstehung während der Kolonisation „unzutreffend“ gewesen, und seine heutige Bedeutung „ist begrenzter als man denkt“. Das habe sie vor allem bei ihren Gesprächen mit Deutschen im Banater Bergland gemerkt. Würde sie nur über Banater Schwaben sprechen, dann wäre das eine „unpräzise Betrachtung der deutschen Minder-heit im Banat“. Deren Ist-Zustand hat die Professorin im September in 21 oft stundenlangen Interviews ergründet, die ein 200-Seiten-Buch füllen könnten. Sebaux sprach unter anderem in Temeswar, Großsanktnikolaus und Reschitza, in Billed, Perjamosch und Wolfsberg mit Banater Deutschen unterschiedlicher Generationen, aber auch mit Rumänen und Ungarn, nicht zuletzt mit einem im Banat lebenden Bundesdeutschen. Der Massenexodus nach Ceausescus Sturz, so Sebaux, habe die Identitätsfindung der in der Heimat verbliebenen Landsleute erst recht gefördert, wobei sich ein Wandel von der „geschlossenen Gesellschaft“ zum „Miteinander“ vollziehe, was sich in der Multikulturalität vieler Familien widerspiegele. Diese hätten im Demokratischen Forum der Deutschen eine identitätsstiftende Instanz gefunden.

Bei ihrer Feldforschung hat sich für Sebaux auch die Gelegenheit ergeben, die „halb scherzhafte, halb ernsthafte Rivalität“ zwischen Banater Deutschen und Siebenbürger Sachsen in Rumänien zu dokumentieren. Dieser Kulturkampf hat mit dem Literaturnobelpreis für Herta Müller scheinbar frisches Pulver bekommen, gibt eine Anekdote zu verstehen, die die Französin im Banat erzählt bekam und wegen des besonderen Reizes in Jena zum Besten gab. Demnach sollen siebenbürgische Lehrer in Temeswar bei der ersten nationalen Deutsch-Olympiade nach Müllers Triumph versucht haben, den bekanntesten rumäniendeutschen Literaturexport als Wettbewerbsthema zu verhindern, und zwar mit Argumenten wie „Was hat die schon gemacht?“

In der Carl-Zeiss-Stadt und in einem Universitätsgebäude an der Carl-Zeiss-Straße ließ Sebaux freilich den Hinweis nicht aus, dass „zeiss“ im volkstümlichen Rumänisch ein Adjektiv bzw. Inbegriff der Perfektion ist. Eingeführt wurde die Forscherin nicht nur vom Jenaer Rumänisten und Graduiertenkolleg-Sprecher Prof. Dr. Wolfgang Dahmen, sondern auch vom Soziologen Prof. Dr. Anton Sterbling (Hochschule der Sächsischen Polizei Rothenburg/Oberlausitz), einem Banater Schwaben aus Großsanktnikolaus. Dahmen und Sterbling gehören zu den sieben Wissenschaftlern des Graduiertenkollegs, die zur Zeit insgesamt dreizehn Doktoranden betreuen. Vier davon gehen in ihren Dissertationen ebenfalls Identitätsfragen an Beispielen aus Rumänien nach. Über „Interethnische Beziehungen und imaginäre Bilder vom Anderen in Werken der deutschsprachigen bzw. ungarischsprachigen Literatur in Rumänien im Vergleich (1972–2005)“ schreibt Silvia Petzoldt (Chemnitz), über „Die Suche der rumänischen Literaten nach nationaler Identität im Zeitraum 1989–2009“ Gundel Große (Meißen). Martin Jung (Bendorf/Rhein) beschäftigt sich mit „Geschichtspolitik und Geschichtskultur in Rumänien seit dem Sturz des Kommunismus’ bis zum EU-Beitritt“ und Hendrik Kraft (Berlin) mit „Identität versus Alterität – Inszenierte Fremdbilder in Rumänien im europäischen Vergleich“.

Ihre Habilitationsschrift will Sebaux Ende 2011 abschließen. Ob und wann die Ergebnisse ihrer Forschungen als Buch veröffentlicht werden, ist offen. In Deutschland lebende Banater Deutsche, die bereit wären, sich von ihr zum Thema ihrer Arbeit befragen zu lassen, können mit ihr in Kontakt treten:

Gwénola Sebaux,
Maître de Conférences,
Université Catholique de l’Ouest Angers,
3 Place André Leroy, F - 49100 Angers,
gwenola.sebaux@wanadoo.fr

Teilnahme freiwillig: Wenn Sie möchten, können Sie hier den Fragebogen aufrufen, ausfüllen und ausgedruckt an Dr. Sebaux senden.