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Macht birgt Verantwortung in sich

Bei den Parlamentswahlen am 11. Dezember vergangenen Jahres haben die Sozialdemokraten in Rumänien einen großen Wahlsieg errungen. Es fehlte nicht viel zur absoluten Mehrheit, aber mit ihrem schon vor den Wahlen erkorenen Koalitionspartner standen sie im Zenit der Macht. An dieser hatten sie sich berauscht. Vor allem Parteichef Liviu Dragnea, der als verurteilter Straftäter nicht Premierminister werden durfte, setzte alle Hebel in Bewegung, um diesen Makel aus der Welt zu schaffen. Jedes Mittel schien ihm dabei Recht zu sein – er hatte die Rechnung ohne den Wirt gemacht. In diesem Fall war es die städtische Bevölkerung des Landes, die zu Hunderttausenden auf die Straßen gegangen ist, um vereint und phantasievoll gegen Korruption und Vetternwirtschaft zu demonstrieren. Mancher rieb sich verwundert die Augen, die Eilverordnung der Regierung zur Sauberspülung korrupter Politiker musste auf Druck der Straße zurückgenommen werden.

Die neue Protestbewegung hat in Rumänien jedoch viel mehr in Bewegung gesetzt. Sie hat eine neue Generation politisiert, die, gut ausgebildet und bestens vernetzt, politische Gängelung nicht mehr akzeptieren will. Sie hat offenbart, dass es in Rumänien ein großes Gefälle in der Wahrnehmung und Artikulation politischer Anliegen zwischen der ländlichen und der städtischen Bevölkerung gibt. Dieses ist auch zwischen den Generationen festzustellen. Die Bereitschaft vieler Bürger, nicht für materielle Interessen auf die Straße zu gehen, sondern für die Einhaltung grundlegender und unveräußerlicher Werte des gesellschaftlichen und politischen Lebens einzutreten, kann der rumänischen Zivilgesellschaft neue Impulse verleihen. Die Gesellschaft ist offener und wachsamer geworden. Sie will und wird nicht mehr alles an- und hinnehmen, was Oligarchen in Politik und Medien liefern. Den tragenden Institutionen in Gesellschaft und Staat fällt nun die Aufgabe zu, dieses neue und kritische Potential zum Fundament einer neuen Basis zu formen, auf der Politik stattfindet. Hierbei könnte Staatspräsident Klaus Johannis, der sich klar auf die Seite der Demonstrierenden gestellt hatte, eine neue und wichtige Rolle spielen. Er muss die divergierenden Kräfte innerhalb der rumänischen Gesellschaft wieder zusammenführen. Die rumänischen Sozialdemokraten haben lernen müssen, dass Macht vor allem Verantwortung in sich birgt. Sie sind dieser nicht gerecht geworden.