Eine Schlüsselrolle in der Entwicklung des an Erzen und Kohle reichen Banater Berglands von einer traditionell ländlich geprägten Region hin zu einem wirtschaftlich und verkehrstechnisch für die expansive industrielle Nutzung bestens erschlossenen Raum spielte die „k. k. privilegierte österreichische Staats-Eisenbahn-Gesellschaft“ (StEG). Das 1854 als Aktiengesellschaft gegründete, von französischen und österreichischen Bankiersfamilien getragene Unternehmen erwarb vom damals nahezu zahlungsunfähigen österreichischen Staat unter anderem die Eisenbahnlinien im Banat sowie das Banater Bergbaurevier. Zu dem am 1. Januar 1855 angetretenen Besitz der Gesellschaft gehörten 72 Ortschaften und deren Forste, Grundstücke, Bergwerke, Hüttenwerke und Fabriken. Die Gesamtfläche des Domänenkomplexes belief sich auf 133168 Hektar. Die StEG war in der Region Herr über die gesamte Wertschöpfungskette, vom Abbau der Rohstoffe über die Forstwirtschaft bis zur Fertigung von Lokomotiven.
Durch die wirtschaftliche Erschließung der „Banater Domäne“, den Ausbau der Infrastruktur und der Schaffung einer modernen Industrie erfuhr das Banater Bergland einen enormen Fortschrittsschub. Unter der Ägide der Eisenbahngesellschaft entwickelte sich das Bergbaugebiet im Banat in kurzer Zeit zu einer der avanciertesten und profitabelsten Industrieregionen Europas. Für das Unternehmen war das Banat von essentieller Bedeutung. Um dessen dortige Aktivitäten den Aktionären in Paris und Wien glaubwürdig vor Augen führen zu können, aber auch um die Leistungen der Ingenieure beziehungsweise die Fortschrittlichkeit der Unternehmungen zu veranschaulichen, machte sich die operative Spitze der StEG die Fotografie zunutze. Nur wenige Jahrzehnte nach ihrer Erfindung spielte die Fotografie bereits eine zentrale Rolle bei der Dokumentation technischen Fortschritts. Vor allem im Kontext der Pionierleistungen des Eisenbahnbaus setzten Ingenieure und ihre Auftraggeber das innovative Medium ein, um Konstruktionen wie Brücken, Bahnhöfe oder Fabriken, aber auch Lokomotiven und ganze Bahnstrecken visuell überzeugend in Szene zu setzen.
Auch der Generaldirektor der StEG, der französische Ingenieur Vincent Jacques Maniel, war vom großen Nutzen des neuen Mediums überzeugt und initiierte verschiedene Fotokampagnen. Aus den Pionierjahren des Unternehmens und der Industriefotografie hat sich beeindruckend viel und unterschiedliches fotografisches Material erhalten, vor allem im Eisenbahnarchiv des Technischen Museums Wien, aber auch in anderen Institutionen und privaten Sammlungen. Eine seit dem 11. August im Wiener Photoinstitut Bonartes laufende Ausstellung mit dem Titel „Bildpolitik der Ingenieure. Fotokampagnen der k.k. privilegierten österreichischen Staats-Eisenbahn-Gesellschaft 1855-1879“ zeigt nun diese bedeutenden Beispiele früher Industriefotografie. Die von Martin Keckeis kuratierte Ausstellung erschließt die ersten beiden Jahrzehnte der Tätigkeit der StEG im Banat mittels Fotografien aus den Beständen des Eisenbahnarchivs des Technischen Museums Wien, des Photoinstituts Bonartes, der Österreichischen Nationalbibliothek, der Albertina Wien, des Banater Montanmuseums Reschitza, der Privatsammlung Cristian Graure usw.
Einen wesentlichen Beitrag in der Auseinandersetzung mit der Thematik der Ausstellung leistete Rudolf Gräf, Professor an der Babeş-Bolyai-Universität Klausenburg. Der aus Reschitza stammende Historiker ist ein profunder Kenner der Geschichte der StEG, worüber er mehrere Publikationen verfasst hat, darunter das grundlegende, 2011 erschienene Werk „Contribuții la istoria industrială a Banatului Montan. StEG, factor de modernizare (1855-1920) [Beiträge zur Industriegeschichte des Banater Berglands. StEG als Modernisierungsfaktor]. Für den Ausstellungskatalog hat Gräf einen historischen Abriss über die Entstehung und Organisation der StEG sowie die ökonomischen Rahmenbedingungen im Banat beigesteuert.
Der Titel der Ausstellung bedarf einer Erläuterung. Der Baudirektor des Unternehmens Carl von Ruppert und die ihm unterstellten Ingenieure hatten ein genuines Interesse, ihre fortschrittlichen Bauprojekte, vor allem die imposanten Pionierleistungen im Bereich des Eisenbahnbrückenbaus, als Beweis für ihre planerischen und ausführenden Kompetenzen von Fotografen angemessen dokumentieren zu lassen. Für entsprechend beeindruckende Gesamtsichten, besonders aber die Auswahl der konstruktiv wichtigen Details, war eine enge Zusammenarbeit zwischen Ingenieuren und Fotografen nötig. Die Ingenieure waren es, die direkt mit den Männern hinter der Kamera zusammenarbeiteten und dadurch die Pionierleistungen der Industriefotografie nicht nur initiierten, sondern auch mitgestalteten. Gleichzeitig sorgten sie für breite und zugleich gezielte Diffusion der von ihnen beauftragten Bilderserien.
Über die verschiedenen Entstehungs- und Verwendungskontexte dieser Serien gibt der Beitrag von Martin Keckeis im Begleitband zur Ausstellung Auskunft. Die Bilderserien „wurden im Unternehmen intern für Verwaltungs- und Kontrollzwecke eingesetzt, dienten aber auch als Leistungsnachweis nach außen. Der Kreis der Angesprochenen umfasste sowohl die kaiserlichen Schirmherren des Unternehmens wie die Besucher der Weltausstellungen und die Aktionäre. Eine wichtige Rolle spielten die Fotografien auch bei der Kommunikation mit Fachkollegen im In- und Ausland“, so Keckeis.
Wie die Ausstellung im Photoinstitut Bonartes zeigt, wurden die fotografischen Auftragsarbeiten für die StEG für vielfältige Verwendungskontexte realisiert. Ausgehend von ersten Produktfotografien (Aufnahmen sämtlicher Lokomotiven aus dem Bestand der StEG von Andreas Groll und Gustav Jägermayer) über Belege von Baufortschritten einzelner Projekte (Bau der Theißbrücke bei Szegedin 1857/58 bzw. der Montan-linie Orawitza-Steierdorf 1862/63, dokumentiert von dem Amateurfotografen Anton Rohrbach aus Szegedin) und Streckendokumentationen von Bahnlinien (z.B. das Album „Panorama der Oravicza-Steierdorf-Montanbahn“ oder die Mappe „Linie Temesvar-Orsova“) erlebte die Verwendung von Fotografien eine Ausweitung und Vertiefung bis hin zu ausführlichen Dokumentationen.
Das am breitesten angelegte fotografische Projekt der StEG wurde 1858 bis 1861 von dem österreichischen Fotografie-Pionier Andreas Groll ausgeführt. Seine Aufnahmen – bekannt sind bisher 108, eine repräsentative Auswahl findet sich in dem „Album der Banater Besitzungen“ der StEG, das vermutlich der Firmenrepräsentation auf der Weltausstellung in London 1862 diente – bilden den Kern der Ausstellung. Das Album ist eine einmalige fotografische Dokumentation einer Region im Umbruch, zumal im Zentrum dieser Fotokampagne die Industriebetriebe und Neubauten der Eisenbahngesellschaft, aber auch die gerade erst errichteten Kolonistenhäuser für die zugewanderte Arbeiterschaft und ihre Familien, Verwaltungsgebäude und Kirchen sowie topografische Besonderheiten der Region standen. Viele Bilder zeigen Gruppenaufnahmen von den am Bau beteiligten Ingenieuren, Arbeitern, Aufsehern und die heterogene Bevölkerung der Region in ihrer jeweiligen Tracht.
Den Mittelpunkt der Ausstellung nimmt die Karte der Banater Domäne der StEG mit Betrieben und Eisenbahnlinien um 1858 ein. Eisenwerke und Gruben befanden sich in zahlreichen Ortschaften über die ganze Domäne verstreut. Die größten Fabriken entstanden in Reschitza und Anina, wobei letztere Ortschaft auf dieser Karte noch gar nicht eingezeichnet erscheint, da sie erst 1860 angelegt wurde. Ihr rasches Wachstum veranschaulichen spätere Darstellungen. Das Verwaltungszentrum befand sich in Orawitza.
Anhand von Industriefotografie beleuchtet die Ausstellung alle Facetten der industriellen Entwicklung im Banater Bergland. Sie veranschaulicht die technischen Leistungen im Lokomotiv-, Brücken- und Tunnelbau, zeigt Industrieanlagen z.B. in Reschitza (Puddlingshütte, Koksöfen, Werkstätte), Orawitza (Elisabethstollen, Paraffinfabrik), Steierdorf (Breuner-Schacht, Destillationshütte), Anina (Hochöfen, Gustav-Schacht, eine Panoramaansicht der Eisenwerke), Dognatschka (Eisenwerk), Deutsch-Saska (Obere Hütte), Doman (Széchen-Schacht), Neumoldowa (Schwefelsäurefabrik), Morawitza (Tagebau), aber auch die neuerrichteten Arbeitersiedlungen in den Zentren Anina, Orawitza, Reschitza, Bokschan, in denen die aus anderen Teilen der Monarchie zugezogenen „Kolonisten“ wohnten.
Zu sehen sind auch etliche Aufnahmen von den am Wertschöpfungsprozess beteiligten Personengruppen: Ingenieure, die Bauleitungen der StEG für die Errichtung der Linie Temeswar-Orschova 1876-1878, Werksarbeiter in Reschitza, Waldaufseher aus Kraschowa. Weil die Holzkohle für die Industrieanlagen in Reschitza von Wichtigkeit war, kam diesbezüglich der Forstwirtschaft eine besondere Rolle zu. So war die Tätigkeit der Waldaufseher von größter Bedeutung.
Da der Staatseisenbahngesellschaft 1855 mit der Ausbeute der Banater Erzvorkommen auch die dazu gehörenden Domänialrechte übertragen worden waren, wurden in der Folge die einheimischen Bauern zur Lieferung von Lebensmitteln und zu Transportdiensten verpflichtet. Darstellungen einer Bauerngruppe und eines Holzkohlenfuhrwerks in Rumänisch-Saska, einer Bauerngruppe aus Kraschowa sowie die eines Zigeunerlagers veranschaulichen die Auswirkungen des Vorstoßes der StEG auf diese Bevölkerungsgruppen. Zigeuner wurden damals saisonal zum Goldwaschen herangezogen.
Landschaftsaufnahmen haben auch ihren Platz in der Ausstellung, wie z.B. der Beewasserfall und die Löffelmühle im Mühltal bei Saska oder eine Karstlandschaft bei Kraschowa. Eine besondere Aufmerksamkeit wird der Montanbahn Orawitza-Steierdorf gewidmet. Deren Bau 1862/63 war eine technische Glanzleistung. Der damit erfolgte Anschluss der Eisenwerke und Kohlengruben in Anina-Steierdorf an das bestehende Bahnnetz bedeutete einen wesentlichen Fortschritt für die exportorientierten Industrieanlagen in den Banater Bergen. 1869 wurde die durch eine wildromantische Landschaft führende Strecke, die unter dem Namen „Banater Semmering“ in die Geschichte eingegangen ist, für den Personenverkehr freigegeben und später auch touristisch genutzt. Eine herrliche Ansicht von Orawitza mit dem Eisenbahnviadukt im Vordergrund sowie Aufnahmen des Zsittin-Viaduktes und des Tunnels von Anina lassen den Betrachter erahnen, welche gewaltigen technischen Leistungen hier erbracht worden sind.
Erwähnenswert ist noch eine Aufnahme von Gustav Adolf Stosius, die veranschaulicht, wie die Lokomotive „Hungaria“ – die erste in Reschitza produzierte Zugmaschine – 1873 mit einem enormen Ochsengespann zum Orawitzaer Bahnhof transportiert wurde. Ziel des brandneuen Vehikels war die Wiener Weltausstellung.
Die sehenswerte Ausstellung im Wiener Photoinstitut Bonartes, Seilerstätte 22, 1010 Wien läuft noch bis 14. Oktober 2016. Eine Besichtigung ist gegen Voranmeldung unter info@bonartes.at oder telefonisch unter +43 (0)1/236029340 möglich.