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Selbstloser Helfer in Zeiten der Bedrägnis und Not

Nick Pesch (erster von links) bei US-Präsident Harry S. Truman 1952. Quelle: Raymond Lohne: German Chicago, Charleston 1999

Nick Pesch (1896-1968)

Nick Pesch Memorial in Lake Villa bei Chicago. Foto: Edward Palffy

Nick Pesch, Gründungspräsident der „American Aid Society“ in Chicago, wurde vor 120 Jahren in Jahrmarkt geboren. In den Vereinigten Staaten von Amerika wird alljährlich am letzten Montag im Mai der Memorial Day zu Ehren der im Krieg für das Vaterland Gefallenen begangen. Seit nunmehr fünfzig Jahren treffen sich an diesem Tag, der ein nationaler Feiertag ist, die in Chicago und Umgebung lebenden Donauschwaben sowie deren Nachkommen am „Nick Pesch Memorial“ in Lake Villa, um der Opfer von Krieg, Flucht und Vertreibung, Internierung und Deportation wie auch jenes Mannes in Dankbarkeit und Ehrfurcht zu gedenken, nach dem die Gedenkstätte benannt ist: Nick Pesch. Als Gründer und langjähriger Präsident der „American Aid Society“ in Chicago, Helfer seiner vertriebenen und notleidenden Landsleute und Wegbereiter der Einwanderung tausender Donauschwaben in die Vereinigten Staaten hat sich der aus Jahrmarkt stammende Banater Schwabe unvergängliche Verdienste erworben. „Das Andenken dieses schlichten, treuen Menschen, der viel Zeit und Geld für seine notleidenden Landsleute geopfert, aber wenig Dank geerntet hat, sollte nicht der Vergessenheit anheimfallen“, mahnte der langjährige Bundesvorsitzende der Landsmannschaft der Donauschwaben, Dr. Adam Krämer, in seinem 1970 erschienenen Bändchen „Brücke nach drüben“.  Heute scheint Peschs unermüdliches und selbstloses Wirken, zumindest in unseren Reihen, weitgehend vergessen zu sein. Sein 120. Geburtstag und der 50. Jahrestag der Errichtung des „Nick Pesch Memorials“ sind ein willkommener Anlass, diesen großen Retter und Helfer der Donauschwaben zu würdigen.

Von Jahrmarkt nach Chicago

Nikolaus Pesch erblickte das Licht der Welt am 18. Februar 1896 in Jahrmarkt als drittes von sieben Kindern des Ehepaares Nikolaus und Susanna Pesch, geborene Mathis. Sowohl in den veröffentlichten Würdigungen als auch in Anton Peter Petris „Biographischem Lexikon“ wird der 20. Februar als Geburtsdatum angegeben; dabei handelt es sich aber – wie aus den Kirchenmatrikeln hervorgeht – um den Tag der Taufe. Nach der sechsten Volksschulklasse erlernte er das Schneiderhandwerk in seinem Heimatort. Im Alter von 15 Jahren verlor er seinen Vater, der 49-jährig an Tuberkulose gestorben ist. Im Jahr 1912 ging er als Geselle auf die Walz und kam bis Wien. Bei Kriegsausbruch kehrte er in die Heimat zurück und leistete ab Sommer 1915 Kriegsdienst bei den Jägern an verschiedenen Fronten. Nach Kriegsende arbeitete er zweieinhalb Jahre als Schneider in Lugosch, ebenso lange nachher in Wien. Dort fand er Anschluss an den 1907 gegründeten Verein der Banater Schwaben.

Ähnlich vielen anderen Landsleuten, die es damals ebenfalls in die Ferne trieb, fasste Pesch den Entschluss, Europa zu verlassen. Im September 1923 wanderte er in die Vereinigten Staaten von Amerika aus, zu seinem älteren Bruder Filip, der schon seit 1909 in Chicago lebte. Er ließ sich ebenfalls in dieser Großstadt nieder und eröffnete 1926 sein eigenes Geschäft. Dank seiner handwerklichen Fertigkeiten und der hervorragenden Qualität seiner individuell geschneiderten Produkte war er schon bald ein gesuchter Maßschneider. Zu seinem Kundenkreis zählten angesehene Personen, darunter viele Universitätsprofessoren. Die Werkstätte florierte, sodass Pesch mehrere Arbeitskräfte einstellen musste. 1925 ließ er seine Mutter Susanna mit seinen drei jüngeren Geschwistern Eva, Johann und Susanna zu sich kommen (Schwester Anna und Bruder Michael waren noch als Säuglinge in Jahrmarkt verstorben). Nick Pesch heiratete 1927 Elisabeth Weissinger, eine Banater Schwäbin aus Neupanat. Aus der Ehe sind vier Kinder hervorgegangen.

Pesch fand rasch Anschluss an seine in Chicago lebenden Landsleute und engagierte sich in verschiedenen Klubs und Vereinen. Wir finden ihn unter den Gründungsmitgliedern des Deutschungarischen Altenheimvereins (German-Hungarian Old Peoples Home Society), der auf Anregung des Obmanns der Deutsch-Schwäbischen Volksgemeinschaft, Dr. Kaspar Muth, anlässlich eines Besuches in Chicago in den 1930er Jahren, ein Altenheim auf einer etwa 15 Acres (rund 6 Hektar) großen Farm in Lake Villa nördlich von Chicago gründete.

Der Zweite Weltkrieg fügte den Donauschwaben tiefe und schmerzvolle Wunden zu. Sie hatten schwere menschliche und materielle Verluste zu beklagen, wurden entrechtet, interniert, verschleppt, vertrieben. Viele der Überlebenden dieser furchtbaren Katastrophe fanden nach Flucht und Vertreibung in Flüchtlingslagern in Österreich und in Deutschland eine vorübergehende Bleibe. Aber auch dort herrschte zu dieser Zeit Hunger, Not und Elend. Die Hilferufe dieser Menschen wurden bis weit über den Ozean gehört. Beherzte Männer fanden den Mut, ihren heimatlos gewordenen, notleidenden Landsleuten zu helfen.

In Chicago nahm ein einfacher, schlichter Mann die Zügel in die Hand. Kein Mann großer Worte, dafür aber mit Persönlichkeitswerten und einer wohltuenden inneren Wärme ausgestattet: Nick Pesch. Zusammen mit John Kaiser (Glogowatz), Peter Müller (Freidorf), Sebastian Baumann (Neupanat), Christ Marschall (St. Hubert), Johann Funk (Überland), John Dippong (Heufeld), Konrad Hack (Liebling) und Mathias Gärtner (Kernei/Batschka) gründete er 1945 den Amerikanischen Deutschungarischen Hilfsverein (American German-Hungarian Aid Society), besser bekannt unter dem Namen „American Aid Society.“ Pesch wurde zum Vorsitzenden gewählt. Zwei weitere Hilfsorganisationen mit ähnlicher Zielsetzung entstanden etwas später unter der Leitung von Peter Max Wagner (* 1898 Sekitsch/ Batschka, † 1982 Brooklyn) in Brooklyn und von Father Matthias Lani (* 1899 Modosch/Banat, † 1954  Los Angeles) in Los Angeles.

Helfer in der Not

In Chicago setzte eine Hilfsaktion großen Ausmaßes ein. Rastlos wurde gespendet, gesammelt, gepackt und verschickt. Abertausende Pakete mit Lebensmitteln, Kleidung und Medikamenten wurden auf dem Schiffsweg nach Europa geschickt und gelangten dort zu den notleidenden Landsleuten in den Flüchtlingslagern in Deutschland und Österreich. Für viele war die Hilfe lebensrettend. Chicagos Vorbild machte Schule. In zahlreichen amerikanischen Städten, so in Detroit, St. Louis, Cincinnati, Pittsburgh, Cleveland, Mansfield, New York, Milwaukee, Elizabeth/ New Jersey, entstanden Filialen des Chicagoer Hilfswerks. Am 20. April 1947 fand in Chicago eine Konferenz aller donauschwäbischen Hilfsorganisationen statt, die sich auf Landesebene zum „Amerikanischen Hilfswerk für die notleidenden Heimatlosen in Mittel- und Südosteuropa“ (American Aid Societies for the needy and displaced persons of Central and South Eastern Europe) zusammenschlossen. Nick Pesch wurde zum National-Präsidenten und John C. Meiszner zum Exekutivsekretär gewählt.

Die Schwaben Amerikas haben damals heroische Taten vollbracht. Es war ein Gemeinschaftswerk sondergleichen, aus dem Herzen erwachsen und vom Willen zur Hilfe für die in bittere Not geratenen Brüder und Schwestern beseelt. Im Sommer 1949 unternahm Nick Pesch eine Reise nach Deutschland und Österreich, um die Lage seiner Landsleute an Ort und Stelle kennenzulernen. In den Flüchtlingslagern sprach er ihnen  Mut zu, gab ihnen Hoffnung und versprach weitere Hilfe. In diesen traurigen, bitteren Zeiten wurde er für viele zum Lichtblick. Man sprach seinen Namen mit dankerfüllten Herzen aus. „Ich habe im Sommer 1949 auf meiner Fahrt durch Deutschland und Österreich aus eigener Wahrnehmung feststellen können, in welcher Notlage unsere Menschen sich befinden, und ich weiß, dass es unverändert notwendig ist, zu helfen. Dafür trete ich hier mit meinen Freunden und Mitarbeitern auch gern ein“, schreibt Pesch in einem Nachwort zu dem 1952 erschienenen Bändchen „Bei den Donauschwaben in den USA“ von Franz Hamm.

Bei seiner Europa-Reise war Nick Pesch klar geworden, dass neben der materiellen Hilfe, die verstärkt fortgesetzt wurde, die Lösung des Einwanderungsproblems in Angriff genommen werden müsse. Die „American Aid Societies“ machten es sich zur Aufgabe, eine Änderung der amerikanischen Einwanderungsbestimmungen dahingehend zu erreichen, dass auch Volksdeutsche zur Einwanderung in die USA zugelassen werden. Pesch und seine Mitarbeiter entfalteten diesbezüglich eine rege Aufklärungstätigkeit, unternahmen unzählige Reisen nach Washington und in verschiedene Städte und führten Gespräche mit vielen einflussreichen Politikern. Eine große Stütze war hierbei John C. Meiszner, Exekutivsekretär der „American Aid Societies“. Meiszner, ein bereits in Chicago geborener erfolgreicher Unternehmer (seine Eltern stammten aus dem Westbanat), stellte seinen politischen Einfluss und seine Verbindungen zu Mitgliedern der Legislative des Bundesstaates Illinois und des Kongresses in Washington stets vorbehaltlos in den Dienst der „American Aid Societies“.

Schritt für Schritt erreichte der Dachverband der donauschwäbischen Hilfsorganisationen sein Ziel. Nachdem Nick Pesch dessen Anliegen 1952 auch dem US-Präsidenten Harry S. Truman vorbrachte und im selben Jahr vor der Kommission für Einwanderung und Einbürgerung angehört wurde, öffneten die Vereinigten Staaten wie auch Kanada weit die Tore zur Aufnahme der Heimatlosen. Zehntausende dieser schwergeprüften Menschen fanden dort eine neue Heimat. Zu diesen zählte auch die Jahrmarkterin Eva Kohn, geborene Roth, die sich 1952 in Chicago niederließ. „Das Haus Pesch, in dem auch so manche Neueingewanderte erste Aufnahme fanden, stand  allen Landsleuten offen und wurde zum Mittelpunkt täglicher Hilfe. Wir waren ja damals nicht zu anspruchsvoll, meistens mit allem zufrieden, solange wir Arbeit hatten und ein jeder sein Brot ehrlich verdienen konnte“, erinnert sie sich. Um den Landsleuten die Einwanderung in die USA überhaupt zu ermöglichen, hatte die „American Aid Societies“ für Tausende die Bürgschaft übernommen.

Nick Pesch und seine Helfer nahmen sich der Neueinwanderer an, standen ihnen bei der Wohnungs- und Arbeitssuche beratend zur Seite, unterstützten sie bei Behördengängen und machten sie mit den amerikanischen Verhältnissen vertraut. In einem Satz zusammengefasst: Sie ermöglichten ihnen einen Neubeginn in der Neuen Welt.

Nick Pesch Memorial

Aus gesundheitlichen Gründen gab Nick Pesch 1956 den Vorsitz des Chicagoer Hilfsvereins auf, im Jahr darauf verzichtete er auch auf sein Amt als National-Präsident der „American Aid Societies“. Seine Nachfolge trat John Meiszner an. Pesch nahm jedoch am landsmannschaftlichen Geschehen hüben und drüben auch weiterhin regen Anteil.

1960 fusionierten der Hilfsverein und der Altenheimverein in Chicago zum Amerikanischen Hilfs- und Altenheimverein (American Aid and Old People Home Society), der in der Folgezeit eine rege Vereinstätigkeit entfaltete und bis 1986 das Altenheim auf dem großflächigen vereinseigenen Gelände in Lake Villa betrieb. Am 30. Mai 1966, am Memorial Day, wurde hier anstelle einer schlichten Gedenktafel eine imposante Gedenkstätte eingeweiht. Auf dem Gedenkstein steht folgende Inschrift in englischer und deutscher Sprache: „Zum Gedenken an unsere lieben Landsleute, die seit 1944 ihrer Habe und ihrer Menschenrechte beraubt wurden und zu Tausenden an Hunger, Kälte und Krankheiten auf Feldern und in Konzentrationslagern umkamen, nur weil sie Deutsche waren. // Den Überlebenden rufen wir zu:/ Auch du wärest längst in der Ruh,/ Wenn nicht durch Gottes Gnad / Dein Leben wär bewahrt.“ Jahre später, nach Nick Peschs Tod, wurde die Gedenkstätte umgestaltet und ihm zu Ehren in „Nick Pesch Memorial“ umbenannt. Sein Konterfei ziert den Gedenkstein, darunter steht: „Die Landsmannschaft gedenket Deiner in Ehren“.

Nick Pesch wurde entsprechend seiner Verdienste mehrfach geehrt. So machte ihn der Bundesverband der Donauschwaben aus Jugoslawien in Deutschland bereits 1949 zum Ehrenmitglied und Bundesvorsitzender Dr. Adam Krämer überreichte ihm während seines Besuches in Chicago 1967 die Goldene Ehrennadel. Pesch, bereits von schwerer Krankheit gezeichnet und in einem Pflegeheim lebend, sagte damals ganz bescheiden: „Es tut mir leid, dass ich nicht mehr tun konnte.“

„Wir denken noch heute an unseren bescheidenen Landsmann Nick Pesch, der sich so selbstlos für seine Landsleute eingesetzt hatte, ohne einen Cent Reingewinn davon zu haben“, schreibt Eva Kohn. „Wir schulden ihm alle zumindest ein Dankeschön, und vielmehr als das wurde ihm auch nie zuteil. Das ,Nick Pesch Memorial‘ in Lake Villa auf dem Gelände des früheren Altenheims, das 1990 zu einem Museum der Schwaben umfunktioniert wurde, ist das einzige, was uns noch an ihn erinnert, an den Mann, dem das Schicksal seiner Landsleute so viel mehr wert war als die Jagd nach dem Dollar und das Streben nach weltlichen Gütern. Nick Pesch folgte seiner Frau Elisabeth, die drei Jahre vor ihm am 26. Februar 1965 ins Jenseits abberufen worden war, am 3. September 1968. Er ist als armer Mann von dieser Welt geschieden. Aber unser Herrgott hat bestimmt einen besonderen Platz für ihn bereitgehalten. Für eine gute Seele von Mensch wie Nick Pesch kann es ja gar nicht anders sein. Dessen sind wir uns alle gewiss, die ihn gekannt haben.“ Sein Name und sein Wirken werden bis heute von der „American Aid Society of German Descendants“ in Ehren gehalten.

(Herrn Edward Palffy, Chicago, gilt mein Dank für die Bereitstellung von Fotos und Informationen.)