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Banat − eine Region in unserem gemeinsamen Haus Europa

Auf dem Programm der Begegnungstagung des BdV-Frauenverbandes in Temeswar, an der auch viele Banatstämmige teilgenommen haben, standen Besichtigungen, Vorträge und Gespräche.

Hunderte Temeswarer Bürger, darunter viele Jugendliche, demonstrierten auf dem Opernplatz für die Einrichtung von mehr Fahrradwegen in ihrer Stadt.

Im Zuge der Sanierung des Freiheitsplatzes in Temeswar wurde auch das Nepomuk-Denkmal (auch als Marienstatue oder Pestsäule bekannt) instandgesetzt. Fotos: Anita Maurer

„Europa ist unser gemeinsames Haus, unser Zukunftsprojekt, an dem wir bauen. Doch wie gut kennen wir die Räume unseres Hauses? Nehmen wir zum Beispiel den südosteuropäischen Flügel unseres Hauses Europa und schauen in die Stube Rumänien. Besser gesagt, in den Südwesten des Landes, in die Region mit dem Namen Banat. Was wissen wir über die Europäer, die dort leben und arbeiten? Örtliches Zentrum unserer Begegnungen bleibt Temeswar. Die zweitgrößte Stadt Rumäniens ist das wirtschaftliche und kulturelle Zentrum des Banats. Die Region im Westen des Landes ist das Siedlungsgebiet der Banater Schwaben. Die Stadt am Ufer der Bega ist in ihrer
architektonischen Grundstruktur durch die K. u. K.-Monarchie geprägt, von daher der Kosename „Kleinwien“. Die Grenzlage und die historischen Verwicklungen färbten auch auf die Menschen im Banat ab: Sie beherrschen in der Regel mehrere Sprachen und gehören unterschiedlichen Glaubensgemeinschaften an.“ Mit dieser Einführung lud die Vorsitzende des Frauenverbands im Bund der Vertriebenen, Dr. Maria Werthan, die etwa 35 teilnehmenden Gäste ein, an dem umfangreichen Tagungsprogramm teilzunehmen,  Land und Leute kennenzulernen und mit den Menschen vor Ort über unsere gemeinsame Zukunft in Europa zu reden.

Mit dem Empfang im Temeswarer Rathaus, das wir an einem sonnigen Herbstmorgen betraten, haben die gemeinsamen Gespräche begonnen. Eine Ausstellung Temeswarer Fotokünstler verkürzte die Wartezeit auf den stellvertretenden Bürgermeister, der mit Verspätung die Gruppe empfing und über die deutschen Hinterlassenschaften in Temeswar, über Partnerschaften und Zukunftsprojekte der Stadt sprach (die Ausgrabungen am Freiheitsplatz, das Projekt am Domplatz, deutsche Firmensitze u.a.).

Temeswar präsentierte sich freundlich. Die Innenstadt, in der die Ausgrabungen und Wegesanierungen weitgehend beendet sind, lädt zum Bummeln, Flanieren und zur Einkehr in schöne Straßencafés auf dem Lloyd-Corso und anderswo im Zentrum ein. Theater und Oper präsentierten auf großen Plakaten ihr Herbstprogramm wie auch das Kunstmuseum am Domplatz nun eine weitere große Ausstellung auf seiner Vorderwand ankündigte, nach der erfolgreichen Dalí-Ausstellung im Sommer. Auf dem Domplatz ist die deutsche Erasmus-Buchhandlung, die neben deutschen Büchern auch deutsche Zeitungen, wie die ADZ oder die Banater Post, anbietet sowie neue Stadtpläne von Temeswar. Einzig und allein die Lenau-schule ist noch immer eine große Baustelle. Unterricht findet in auswärtigen Räumen statt, was sowohl für die Schüler als auch für die Lehrer eine Herausforderung ist. Nach Auskunft der Schulleiterin Helene Wolf bemüht sich die Stadt, die Sanierung der Schule mithilfe von EU-Geldern im nächsten Jahr fertigzustellen. Frau Wolf berichtete den Teilnehmern in den Räumen der „kleinen“ Lenauschule über die „Rolle der Frauen in der Politik, Wirtschaft und Kultur Temeswars“. Diese sei immer noch an alten, traditionellen Werten ausgerichtet: Frauen sind oftmals berufstätig, versorgen zudem Haushalt und Kinder. Leitende Positionen werden nach wie vor hauptsächlich den männlichen Vertretern zugeteilt (zugetraut).

Peter Hochmuth, Vorsitzender des Deutschsprachigen Wirtschaftsclubs Banat mit Sitz in Temeswar, berichtete begeistert von den Erfolgen auf dem Arbeitsmarkt im Westen des Landes: niedrige Arbeitslosigkeit (in Temeswar gibt es so gut wie keine Arbeitslosigkeit, in der Umgebung schwankt sie zwischen 3 und 8 Prozent), zahlreiche Investitionen europäischer Firmen (Italien, Österreich, Deutschland), duale Berufsausbildung für Jugendliche als auch Deutschstudiengänge an der Westuniversität der Stadt. Man hat das Gefühl, dass die deutsche Kultur, Wirtschaft und Tradition in diesen Teil des Landes zurückkehrt, jedoch anders als früher. Es sind nicht die Nachkommen ehemaliger deutscher Aussiedler, die ins Banat kommen, sondern Vertreter der Wirtschaft und Kulturinteressierte aus dem deutschen Raum, die dem Temeswarer Leben neue Impulse verleihen und die einstige Multikulturalität der Stadt wiederbeleben. Die Frage einer Teilnehmerin, weshalb man denn nicht mehr für die Restaurierung so mancher alter Gebäude im Stadtzentrum von Seiten der Wirtschaft tue, wurde von Peter Hochmuth so gedeutet, dass manche Besitzverhältnisse nicht geklärt seien und die Erben sich nicht um die Sanierung der Häuser bemühten. Zudem würden EU-Gelder häufig nicht in Anspruch genommen, da die bürokratischen Hürden sehr hoch scheinen. Zu den vernachlässigten Gebäuden gehört auch das Prinz-Eugen-Haus in der Innenstadt, das in einem erbärmlichen Zustand ist. Aber so manch andere Temeswarer Gebäude und Plätze erstrahlen in neuen Farben: der Freiheitsplatz mit der frisch renovierten Marienstatue, der Barockpalast am Domplatz, der das Kunstmuseum beherbergt, die serbisch-orthodoxe Kathedrale, das Dikasterialpalais, die Bastion mit ihren Ausstellungsräumen, Cafés und Gaststätten, die Häuser am Domplatz u.a.m.

Dass Temeswar die Stadt der Dezemberrevolution 1989 war, ist im Revolutionsmuseum zu besichtigen, das in der Nähe der Kunstschule in einer alten österreichisch-ungarischen Kaserne auf zwei Etagen beheimatet ist. Geleitet wird es von Dr. Traian Orban, der als Teilnehmer der Revolution trotz starker Verwundungen in jenen Dezembertagen 1989 überlebte, und nun mit aller Kraft und Energie den Besuchern die Räume und Ausstellungsstücke des Museums zeigt. Eine Filmvorführung zu den Ereignissen des Dezember 1989 in Temeswar und Bukarest berührte sehr und ließ so manche Erinnerung an Flucht, Deportation, Aussiedlung aus der Heimat aufleben. Eine interessante und aufregend lebendige Stadtführung wurde von der Schriftstellerin und pensionierten Pädagogin Edith Guip-Cobilanschi gemacht, die Temeswar anhand von Anekdoten, Lebensgeschichten und Gebäudehistorie den Gästen voller Begeisterung präsentierte.

Der zweite Seminartag in Temeswar begann mit dem Besuch des „Pädagogischen Tages“, dem 10. Banater Lehrertag im Adam-Müller-Guttenbrunn-Haus. Nach der Begrüßung durch Dr. Johann Fernbach vom Demokratischen Forum der Deutschen im Banat sprach der Abgeordnete der deutschen Minderheit im rumänischen Parlament, Ovidiu Ganţ, über das Problem der deutschen Schulbücher. Es fiel das Wort „inkompetente Politiker“ und in scharfem Ton wurden die ungelösten Probleme vorgetragen: keine neuen Schulbücher, keine Schulräume für die deutsche Schule, keinen Sportsaal, kein Labor. Schuld an dieser Misere sei das mangelnde Interesse der Politiker, diese Probleme zu lösen. So wurde vom Deutschen Forum das Textbuch für die 11. und 12. Klasse auf eigene Kosten erarbeitet. Die Gesetze im Unterrichtsministerium ändern sich ständig, so wurden beispielsweise 2012 allein zehn neue Dringlichkeitserlasse verabschiedet. Auf diese Missstände hat übrigens auch Staatspräsident Klaus Johannis hingewiesen und eine Änderung gefordert. Obwohl das Interesse in Temeswar und Umgebung an der deutschen Schule nach wie vor sehr groß ist (so gibt es sieben Parallelklassen an der Lenau-Grundschule), fehlen mehrfach Lehrkräfte. Im Gymnasialzyklus der Lenauschule gibt es meistens zwei Parallelklassen. Die Schule ist unter den Top-5-Schulen des Landes vertreten. Weitere deutsche Unterrichtsklassen bestehen in Arad, Lugosch, Großsanktnikolaus, Sankt-anna, Reschitza, Karansebesch. Obwohl Bayern und Baden-Württemberg Lehrer zum Austausch nach Temeswar vermitteln, um den Deutschunterricht zu unterstützen, fehlen Lehrer für den Unterricht in den deutschen Klassen. So berichteten auf der Lehrertagung die Fachberaterin für Deutsch, Birgit Söldenwagner, und Carmen Eckert aus Rastatt von dem Glück, etwas zu bewegen, Umstände zu verbessern in dem deutschen Schulsystem Temeswars. Inklusion, Migration, Integration, Lehrerversorgung, Ausstattung sind die Schlagwörter, für die die Lehrer kämpfen, denn Bildung (so die Schulrätin Carmen Eckert) ist das „höchste Gut“ und jede andere Sprache, die ein Schüler erlernt, sei „das Tor zur Welt“. Maria Werthan, die Vorsitzende des Frauenverbandes im BdV, betonte in ihrem Beitrag zum Lehrertag, dass man sich nach Platons Spruch des „Aufeinanderzugehens“ orientieren solle. Die Bildung der Jugend sei von Dauer und gehe über ein Menschenleben hinaus, sie sei außerdem die Grundlage für Toleranz und Zusammenleben in Europa.

Beim anschließenden Empfang durch Helmut Weinschrott, den Leiter des Adam-Müller-Guttenbrunn-Hauses, erfuhren wir vor dem „Einwandererbild“ Stefan Jägers einige Details über das Haus, seine Bewohner, die Zusammensetzung des Pflegepersonals. Ignaz Bernhard Fischer, der die seelsorgerische Betreuung der Bewohner begleitet und Vorsitzender des Vereins ehemaliger Russlanddeportierter ist, erzählte den Anwesenden über die Situation der Deportierten sowie Einzelheiten seines Lebens in der Deportation und berichtete über die Arbeit im AMG-Haus. Das Referat über den Umgang Rumäniens mit der Geschichte der Diktatur im Spiegel der Presse sowie in literarischen Werken Banater Gegenwartsautoren wurde von Katharina Kilzer in den Räumen des Revolutionsmuseums vorgetragen und diskutiert. Edith Guip-Cobilanschi las aus ihren literarischen Texten den interessierten Zuhörern vor. Die gemeinsamen Mahlzeiten in der Lenau-Kantine und am Bega-Ufer sorgten für ausgelassene Unterhaltungen. Auch ein Ausflug in das Bierzelt der Temeswarer Oktoberfest-Veranstaltung wurde unternommen. Hier trat die deutsche Rockband „Rocky 5“ auf, in der ehemalige Banater und Siebenbürger mitwirken.

Die folgenden Tage standen im Zeichen der Landausflüge. Auf dem Programm stand zunächst Maria Radna, wo in Begleitung von Pfarrer Andreas Reinholz die Basilika und das Wallfahrtsmuseum besucht wurden. Raimund Slatina aus Bogarosch, der blinde Bewohner aus dem AMG-Haus, begleitete die Gruppe mit seinem Akkordeon und Gesang. Einige Teilnehmer wollten sich für eine Versorgung von Raimund mit elektronischem Braille-Computer einsetzen, damit eine weitere Kommunikation mit dem blinden Sänger stattfinden könne, der vielen das Herz berührt hatte.

Es folgten ein Besuch des Heimatmuseums in Lenauheim, des Stefan-Jäger-Hauses sowie Pressemuseums in Hatzfeld, wo eine Ausstellung zum Thema Banater deutsche Druckpresse besichtigt werden konnte. Die Rundfunkjournalistin Astrid Weisz von Radio Temeswar sprach über die deutschen Medien im Banat und erstellte einen Beitrag über die Begegnungstagung für ihren Sender. Ein Besuch des deutschen Theaters in Temeswar, eine Einkehr in der Synagoge der Innenstadt und in der serbisch-orthodoxen Kirche sowie ein Orgelkonzert im Dom rundeten die kulturellen Ereignisse auf dieser Reise ab.

Unter den Teilnehmern waren etwa mehr als die Hälfte Banatstämmige, die nach langer Zeit ins Banat zurückkehrten. Andere Teilnehmer hatten zum ersten Mal Temeswar besucht und waren überrascht von der kulturellen Vielfalt der Stadt, von der Geschichte und den Menschen dieser Stadt, die sich auf dem Weg nach Europa nun im Wettbewerb mit dreizehn weiteren rumänischen Städten um den Titel „Kulturhauptstadt Europas 2021“ bemüht. Zwar muss noch viel geschehen und vor allem müssen die zivilisatorischen Prozesse beschleunigt werden. Aber die Jugend, die während der Tage des Seminars mit hunderten von Fahrrädern auf den Straßen und Plätzen Temeswars für die Einrichtung von mehr Fahrradwegen in der Stadt demonstrierte, ist auf dem besten Weg dahin.