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Die Diözese Temeswar im Umbruch (Teil 1)

Diözesanbischof Roos bei seinem Vortrag in Ulm

Der Dom ist die Bischofskirche des Bistums Temeswar

Vortrag bei der Tagung der Kreis- und HOG-Vorsitzenden der Landsmannschaft in Ulm (Teil 1)

Zunächst darf ich mich für die Einladung, an dieser lhrer Begegnung teilzunehmen, recht herzlich bedanken. Bereits im Jahre 2001 habe ich in diesem Rahmen in Frankenthal teilgenommen und über die Lage in der Diözese Temeswar berichtet. Viel Neues oder gar Sensationelles hat sich in der Zwischenzeit nicht ereignet, so dass vieles von damals auch heute noch gilt und aktuell ist. Inzwischen ist auch im Banat und in Temeswar der graue Alltag eingekehrt, der zähen Einsatz und Ausdauer fordert, denn auch Rumänien ist nunmehr aus den Schlagzeilen der Medien und des Weltinteresses verschwunden; es macht höchstens noch negative Schlagzeilen.

Aber auch viele der hiesigen alten Generation sind abgetreten und haben die Stafette an die
Jüngeren weitergegeben. So manchem von lhnen begegne ich heute zum ersten Mal, so dass ich Grundsätzliches von 2001 auch hier wiederholen darf, zumal einem Großteil von lhnen unsere Diözese Temeswar und ihre Vergangenheit doch fremd sein und ein gewisser Nachholbedarf bestehen dürfte. lch darf das Schema von 2001 daher beibehalten und da und dort lediglich ergänzen und auf den aktuellen Stand bringen.

Diözese Csanad-Temeswar

Die alte Diözese Csanad, aus der 1930 das heutige Bistum Temeswar hervorgegangen ist, wurde 1030 durch König Stefan von Ungarn gegründet und umfasste in seiner ursprünglichen Gestalt ca. 35 000 qkm; dazu gehörte das gesamte geographisch-historische Banat, das zugleich den Großteil des Bistums ausmachte. Es war eines der größten Bistümer des alten Ungarn, sowohl flächenmäßig als auch was die Zahl der Katholiken betraf (fast eine Million Gläubige). Durch den Friedensvertrag von Versailles-Trianon wurde dieses Bistum in drei Teile zerschnitten, die nunmehr auf dem Territorium dreier Staaten zu liegen kamen: der kleinste Teil verblieb bei Ungarn mit der Stadt Szegedin, der mittlere Teil kam mit den Städten Großkikinda, Großbetschkerek, Pantschowa, Werschetz und Weißkirchen an Serbien, und der größte Teil der Diözese kam mit der Bischofsstadt Temeswar an Rumänien: 152 Pfarreien, 475 375 Katholiken, deren Großteil Deutsche waren. Auch nach dem Zweiten Weltkrieg stand die Diözese Temeswar noch verhältnismäßig gut da: die Zahl der Katholiken war zwar auf ca. 360 000 zurückgegangen, doch die Zahl der Pfarreien blieb unverändert. Nach fünfzig Jahren Kommunismus, nach Verschleppungen, Familienzusammenführung und Abwanderung der deutschen Bevölkerung gen Westen, ja dem massenhaften Exodus nach 1989, sind deutliche Spuren eines Rückgangs festzustellen:  die Zahl der Katholiken steht heute bei 150 000 Gläubigen, die Zahl der Pfarreien musste 1992 von 162 auf 72 zurückgefahren werden, die Zahl der Diözesanpriester ging auf 75 zurück, von denen nur noch neun Deutsch als ihre Muttersprache betrachten. Das Bistum ist heute auf acht Dekanate und drei Erzdekanate aufgeteilt.

Pfarreien und Seelsorger

Bis zum Ersten Weltkrieg zählte das Bistum – bei 250 Pfarreien – 328 Priester in der Seelsorge; daneben gab es 93 Ordenspriester und Laienbrüder sowie 681 Ordensschwestern, zumeist in Schulen und Krankenhäusern tätig. Es gab trotz Kriegszeiten 35 Theologiestudenten und 57 Kleinseminaristen. Auch nach dem Zweiten Weltkrieg hatte das Bistum immer noch fast 200 Priester, dabei ca. 160 Deutsche, 40 Ordensleute und 524 Ordensschwestern. Heute leben noch 75 eigene Diözesanpriester im Bistum, davon sechs im Ruhestand oder krank. Von den neun Deutschen ist einer krank; aus anderen Diözesen sind neun Priester ausgeliehen (Ungarn und Rumänen); daneben gehören fünf Priester verschiedenen Orden an. Zur gleichen Zeit leben im deutschen Sprachgebiet verstreut über fast alle Diözesen an die 45 Priester aus unserem Bistum, sei es als Diözesan- oder Ordenspriester; davon sind mindestens 35 Deutsche, zwei Rumänen, zwei Bulgaren und fünf Ungarn.

Schwer betroffen ist vor allem der mittlere Teil des Banats, quer über Heide und Hecke. Sie können von Temeswar in fast alle Himmelsrichtungen fahren, sie treffen kaum noch auf katholische Pfarrorte: zwischen Temeswar und Lippa, zwischen Temeswar und Großsanktnikolaus, zwischen Temeswar und Hatzfeld, zwischen Temeswar und Morawitz gibt es kaum noch einen eigenen deutschen Pfarrer. Es sind vor allem die rein deutschen Gemeinden, die heute leer dastehen: Jahrmarkt, Bruckenau, Blumenthal, Guttenbrunn und Neudorf; Sanktandres, Mercydorf, Orzydorf und Segentau; Neubeschenowa, Kleinbetschkerek, Alexanderhausen, Gottlob, Grabatz, Bogarosch, Lenauheim und Triebswetter; Sackelhausen, Gertjanosch, Groß- und Kleinjetscha; Schag, Wojteg, Deutsch-Stamora, Morawitz und Großscham. In erster Linie muss es uns um die Sicherung einer geordneten Seelsorge gehen, um das Notwendigste. Doch an den hohen Feiertagen will und fordert jeder seinen Hauptgottesdienst, möglichst zu einer günstigen Zeit, zur Zeit „des Hochamtes“ um 10 Uhr. Dazu kommt die Not „der Letzten“, wo kein Nachbar mehr da ist, zu dem man Vertrauen haben kann. Und dann noch: Wer beerdigt die Letzten, wer schaufelt oder hebt noch das Grab aus, wer macht den Träger? Einen Kirchenchor gibt es schon lange nicht mehr! Und dennoch gibt es auch Zeichen eines neuen Aufbruchs auch in unserer alten Diözese: ln Temeswar haben wir das Zentrum für eine Jugendseelsorge neu einrichten können; an die 14 junge Männer bereiten sich auf den Priesterberuf vor, im Gerhardinum – dem kirchlichem Lyzeum – lernen 127 Knaben und Mädchen; und während sich der Orden der Schulschwestern nur schwer verjüngen kann, haben wir Maria-Ward-Schwestern, Franziskanerinnen aus Deutschland und der Slowakei, die sich gut schlagen und wertvolle Aufbauarbeit leisten.

Die Arbeit der Caritas

lm Jahre 1990 wurde in unserer Diözese die Caritas-Arbeit, die 1947 durch Bischof Augustin Pacha und Prälat Josef Nischbach begonnen worden war, wieder aufgenommen. Es entstanden zuerst örtliche Caritasstellen in Bakowa, Karansebesch, Tschakowa, Lippa, Orschowa und Temeswar, danach kamen noch jene von Arad und Lugosch hinzu. Diese schlossen sich später zum Caritasverband der Diözese Temeswar zusammen, der seinen Sitz in Temeswar hat. Der Anfang war mit manchen Schwierigkeiten verbunden, die mit Hilfe der Caritas lnternationalis, durch die Diözese Graz-Seckau und durch den Deutschen Caritasverband Freiburg überwunden werden konnten. Es gibt an verschiedenen Orten, über die ganze Diözese verstreut, Anlaufstellen für bedürftige Menschen. Es sind dies Armenküchen, Kleiderkammern, Ausgabestellen für Medikamente, Maschinenringe und anderes mehr. Durch die Förderung des Bundesministeriums des lnnern Deutschlands wurden in Arad, Busiasch, Ferdinandsberg, Karansebesch, Lippa, Nadrag, Reschitza, Temeswar und Triebswetter Sozial- und Pflegestationen der Diözesancaritas ins Leben gerufen. Diese wurden mit Vorliebe in jenen Ortschaften eingerichtet, wo noch größere Gruppen unserer Landsleute leben. Die in diesen Stationen tätigen Schwestern, zum Teil auch Ordensschwestern, machen Hausbesuche und sorgen sich um das Wohlbefinden vieler Zurückgebliebener, die niemand mehr haben oder deren nächste Verwandte ausgewandert sind.

Durch die Diözesancaritas wurden – mit Hilfen aus dem Ausland – auch verschiedene Kinderheime eingerichtet, wie etwa in Neu-Petsch und Freidorf. In Tschakowa hat ein Altenheim seine Tore geöffnet. Ein besonderes Projekt des Bistums stellt das Hospiz in der Elisabethstadt dar, das von den Franziskanerinnen betreut und betrieben wird, die früher schon im Bega-Sanatorium tätig waren. Durch slowakische junge Schwestern unterstützt, eröffnete der Orden 2006 hier eine Pflegestation mit Betten für Kranke in der Endphase ihrer Leiden. Neben einer fachgerechten Pflege wird hier auch geistliche Begleitung der Sterbenden gewährt. Die Einrichtung ist eine große Erleichterung für die Angehörigen wie für die Kranken, ein Segen für die Stadt und das Bistum – übrigens die einzige und erste Einrichtung ihrer Art im gesamten Land. Durch all dies versuchen wir als Ortskirche Zeugnis von tätiger Nächstenliebe abzulegen, die nicht nur unseren Landsleuten, sondern auch einer großen Gruppe von anderen Bürgern des Landes zugutekommt.

Kirchliche Gebäude

Eine große und schwere Hypothek sind die einst notwendigen, doch heute leerstehenden Kirchen und Kapellen. Daneben stehen die leeren Pfarrhäuser, die ausgedehnten Hausgärten. Es schmerzt erst recht, wenn man diese in besseren Zeiten kennengelernt und erlebt hat. Dabei geht es nicht um eine Erhaltung um des Erhaltens Willen. Es hat nur da einen Sinn, wo auch die heute vorhandene Gemeinde diese Gebäude mit Leben erfüllen kann und braucht. Dabei zeichnen sich zwei Möglichkeiten ab: a) Das vorhandene Gebäude wird auch für die Zukunft gebraucht, und dann lohnt sich eine Investition. In diesem Falle sind auch westliche kirchliche Stellen vorerst noch bereit, einen Zuschuss zu gewähren, doch will man immer mehr in Personen und immer weniger in Gebäude investieren. b) Eine andere Lösung muss dort ins Auge gefasst werden, wo die zusammengeschrumpfte Gemeinde – weil schon weit unter hundert – voraussichtlich nicht mehr in der Lage sein wird, die Kirche über die nächsten fünfzig Jahren zu erhalten, wie dies da und dort auch schon praktiziert wird. In diesem Fall ziehen wir uns in das vorhandene Pfarrhaus zurück, richten uns hier eine Kapelle ein und feiern hier den Gottesdienst: lm Winter kann man heizen, die Atmosphäre ist familiärer. Es ist dies eine Notlösung, die nicht immer von allen verstanden wird, die auch nicht jedem gefällt, doch nicht unpraktisch ist. Damit ist jedoch auch die Frage gestellt, was mit den vorhandenen Kirchen geschehen soll, die nicht mehr gebraucht werden. Die Frage ist besonders schmerzlich, wenn keine andere christliche Konfession sich dafür interessiert oder bereit ist, dieses Gotteshaus zu übernehmen.

ln diesem Zusammenhang ist es jedoch wenig hilfreich, wenn hier von Heimatortsgemeinschaften Abstimmungen oder Beschlüsse gefasst werden, die Heimatkirche zu übergeben. Die Entscheidung liegt bei dem zuständigen Bischof als dem Verwalter des Bistums. Auch nimmt sich ein solcher Beschluss sonderbar und befremdend für die Landsleute zu Hause aus, die dies als „Verrat“ an der Kirche ansehen, an der sie trotz allem hängen: „Jetzt holen sie uns auch noch die Kirche weg!“ Pfarrhäuser, wo wir uns unter dem Druck der Verhältnisse zum Verkauf entschlossen haben, dienen dem Erhalt der notwendigen und bewohnten Pfarrhäuser und sollten nicht zu Kirchenreparaturen verwendet werden. Dies gilt auch vom Erlös, der aus dem Verkauf von Pfarrgärten erwirtschaftet wird. lm allgemeinen aber sind wir nicht gerade darauf besessen, Pfarranwesen zu veräußern, zumal in Gemeinden, die nahe bei Temeswar liegen oder die sonst noch Aussicht haben, in nächster Zeit gebraucht zu werden. Darüber hinaus kauft zur Zeit kaum jemand Immobilien, zumal viele Gebäude in den Städten wie auf dem Land leerstehen, zum Vermieten angeboten werden, für die sich kaum jemand interessiert.        (Schluss folgt)