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»Notre pays, c’est la France«

Die Satzung des Franzosenverbandes: »Verband der Nachfahren der ehemaligen französischen Kolonisten des Banats«

Vor 65 Jahren wurde im Banat der »Franzosenverband« gegründet

„Notre pays, c’est la France“ (Unser Vaterland ist Frankreich): An diesen Satz, den sie in ihrem ersten Schuljahr gelernt hat, erinnert sich die in Temeswar lebende Schriftstellerin Annemarie Podlipny-Hehn auch jetzt noch. Dabei liegt ihre Einschulung 65 Jahre zurück. Annemarie besuchte aber nicht – wie die meisten Schwabenkinder – eine deutsche Schule, sondern eine französische. Triebswetter (rumänisch Tomnatic) ist die erste Gemeinde des Banats, in der eine solche Schule eröffnet wird. Initiator ist die „L’association des descendants d’anciens colons français du Banat“ (zu deutsch Verband der Nachfahren der ehemaligen französischen Kolonisten des Banats, kurz Franzosenverband). Er war am 30. Juni 1945 in Temeswar, der Hauptstadt des Banats, gegründet worden. Am 14. August desselben Jahres erkennen ihn die rumänischen Behörden offiziell an. Präsident ist der Rechtsanwalt Dr. Stefan Frecot.

Stefan Frecot – eine schillernde Persönlichkeit

1887 in Temeswar geboren, erhält Stefan Frecot schon als Kind von einer Lehrerin aus Paris Französischunterricht. Seine Eltern legen auf die französischen Wurzeln großen Wert. Das Studium der Rechtswissenschaften in Budapest schließt er mit der Promotion ab. 1919 leitet er eine Delegation von Banater Schwaben, die auf der Pariser Friedenskonferenz verlangt, dass das Banat ungeteilt bleibt und zu Rumänien kommt. Ebenfalls 1919 wird Stefan Frecot zusammen mit anderen Banater Schwaben und Siebenbürger Sachsen Abgeordneter im ersten Parlament des vereinigten Rumänien. Als in den dreißiger Jahren der Nationalsozialismus auch in Rumänien um sich greift, regt er die Gründung eines Franzosenverbands an. Vertreter der rumänischen Regierung, die ihn in Bukarest empfangen, sind von der Idee angetan, halten sie aber für nicht durchführbar, da dies das Deutsche Reich „irritieren könnte“. 1945 greift Stefan Frecot, der sich nun – französisch – Etienne Frecôt nennt, die Idee erneut auf.

Schutz vor Repressalien und Diskriminierung

In der Satzung, die in französischer Sprache verfasst wurde, werden als Ziele des Franzosenverbands genannt, „die französische Kultur zu verbreiten, französische Sitten und Gebräuche unter den Nachfahren der einstigen Kolonisten zu pflegen, jungen Leuten ein Studium in Frankreich zu ermöglichen und pro-französische Bewegungen zu unterstützen.“ Das Hauptziel ist aber ein anderes; eines, das die Väter der Satzung bewusst nicht beim Namen nennen. Der Franzosenverband will seine Mitglieder vor Repressalien und Diskriminierungen schützen, denen die deutsche Minderheit Rumäniens nach dem Frontwechsel vom 23. August 1944 ausgesetzt ist. Sie muss kollektiv dafür büßen, dass Rumänien am antisowjetischen Krieg teilgenommen hat und dass es von Nazi-Deutschland besetzt wurde. So werden in den ersten Tagen des Jahres 1945 75 000 Banater Schwaben und Siebenbürger Sachsen zur Zwangsarbeit in die Sowjetunion verschleppt. Das Minderheitenstatut, das wenige Wochen später erlassen wird und gleiche Rechte für alle Staatsbürger Rumäniens ohne Unterschied der Nationalität postuliert, gilt nicht für die Rumäniendeutschen. Durch das Bodenreformgesetz, das im selben Jahr in Kraft tritt, verlieren sie ihren landwirtschaftlichen Grundbesitz und ihre Häuser.

Banater mit französischen Wurzeln

„Wenn wir uns auf unsere französischen Wurzeln besinnen“, denken angesichts dessen einige Banater Schwaben, „können wir uns weiteren Unterdrückungen und Diskriminierungen – vielleicht – entziehen.“  Der Gedanke ist nicht abwegig. Die Kolonisten, die im 18. Jahrhundert von der Habsburger Monarchie ins Banat geholt wurden, waren zwar mehrheitlich Deutsche. Wien rief aber auch andere Nationalitäten ins Land, beispielsweise Franzosen. Davon zeugen Namen wie Boisseau, Cherrier, Damas, Lefort, Pierre, Poulin, Vive oder eben Frecot; Namen, die bis heute erhalten geblieben sind. Triebswetter ist eines jener Banater Dörfer, in denen besonders viele Franzosen angesiedelt wurden. Über sechzig Prozent der Triebswetterer Erstsiedler stammten aus der lothringischen Gegend um Chateau-Salins. Wie viele Franzosen insgesamt dem Ruf der Habsburger ins Banat gefolgt sind, darüber geben Statistiken nur ungenau Auskunft. In der Volkszählung aus dem Jahre 1770 werden „Schwaben, Italiener, Franzosen“ als eine einzige Gruppe erfasst. Ihre Zahl wird mit 42 000 angegeben. Genauer ist die Volkszählung von 1840. Sie spricht von 208 000 Schwaben und 6150 Franzosen. Bei späteren Volkszählungen, beispielsweise der von 1910 in Ungarn oder der von 1930 in Rumänien, werden Franzosen überhaupt nicht erwähnt.

Französisch als Umgangssprache

Durch Heirat, Umgebung und Erziehung wurde das Französische in den Banater „Franzosendörfern“ im Laufe der Zeit durch das Deutsche ersetzt. Dass es dennoch bis gegen Ende des 19. Jahrhunderts nicht ganz verdrängt war, steht außer Zweifel. Annemarie Mihulcea, eine pensionierte Lehrerin aus Tolwad, die heute in Koblenz lebt, erinnert sich, dass ihr Großvater Johann Frecot des öfteren erzählte, „dass seine Eltern bei Tisch Französisch sprachen, wenn sie wollten, dass die Kinder nicht verstehen, worum es ging“. Johann Frecot wurde 1881 in Triebswetter geboren und war ein Cousin von Stefan Frecot, dem Gründer des Franzosenverbands. Ob ihr Großvater Mitglied in diesem Verband war, weiß Annemarie Mihulcea nicht. Sie erinnert sich aber, dass er zusammen mit ihrem Vater regelmäßig zu Verbandsveranstaltungen ging. „Es gab eine Zeit in meiner Kindheit, in der mein Vater versuchte, seine französische Abstammung zu vertiefen. Er hat dann einen Lehrer angesprochen, der mir Französischunterricht erteilte, weil er wollte, dass ich in der Schule nicht nur Deutsch lerne, sondern auch Französisch als Fremdsprache.“

Französische Schule in Triebswetter

Wer Mitglied im Franzosenverband werden wollte, erinnert sich die Schriftstellerin Annemarie Podlipny-Hehn, musste eine Prüfung ablegen. „Jeder, der das Vaterunser (französisch Notre Père) in Französisch beten konnte, wurde zum Franzosen erklärt.“ Es habe in Triebswetter Leute gegeben, die es tatsächlich beherrschten. Andere hätten es vor der Prüfung schnell gelernt. „Da haben unsere Schwaben zu unserem Gott in Französisch gebetet“, sagt sie lächelnd.

In der französischen Schule, die die damals Siebenjährige ab 1945  besuchte, wird alles – Lesen, Schreiben, Rechnen – ausschließlich in französischer Sprache unterrichtet. Die Lehrerinnen, Benediktiner-Ordensschwestern aus Paris, beherrschen außer Französisch keine andere Sprache. Sie achten streng darauf, dass die Kinder weder im Unterricht noch in der Pause miteinander deutsch sprechen. „Wer etwas in Deutsch gesagt hat“, erinnert sich Annemarie Podlipny-Hehn, „wurde bestraft. Die Nonnen haben uns mit der Rute auf die Finger geschlagen.“

Die französische Schule in Triebswetter – mit dazu gehörigem französischen Kindergarten – sollte nur der Anfang sein. Weitere Schulen wollte der Franzosenverband in Lowrin (Lovrin) und in Mercydorf (Carani) folgen lassen. Dazu kommt es nicht mehr. Im Zuge der Schulreform von 1948 lösen die in Bukarest herrschenden Kommunisten alle konfessionellen Schulen auf. Ab der dritten Klasse geht Annemarie Podlipny-Hehn in keine französische Schule mehr, sondern in eine deutsche.

Aus für Schule und Verband

Wie seiner ersten und einzigen Schule ergeht es auch dem Franzosenverband. Er muss seine Tätigkeit einstellen. Grundlage ist ein Dekret von Anfang 1949, das alle Vereine und Stiftungen für aufgelöst erklärt. Für den Verbands-präsidenten Stefan Frecot bricht eine schwere Zeit an. Wie viele andere Intellektuelle Rumäniens, wird er 1952 zur Zwangsarbeit in die Dobrudscha im Osten des Landes  verschleppt. Dass er bereits im Rentenalter ist und dass er Rumänien gegenüber immer loyal war, interessiert die Machthaber nicht. Nach seiner Freilassung im Jahre 1954 kehrt er nach Temeswar zurück und arbeitet trotz seiner angeschlagenen Gesundheit noch eine Weile als Rechtsanwalt. 1971 stirbt er in seiner Heimatstadt. Seine letzte Ruhestätte findet er auf dem Friedhof in der Lipovaer Straße (Calea Lipovei).

Stefan Frecots Franzosenverband war nur eine kurze Episode in der Geschichte des Banats. Neben der französischen Schule hat er erreicht, dass Einwohner von Triebswetter mit französischen Namen ihren Grund und Boden zunächst nicht verloren. Freilich wurde das 1947 „nachgeholt“. Was er sonst noch auf den Weg gebracht hat, ist schwer zu sagen. Aufzeichnungen liegen kaum vor. Zeitzeugen, die im Verband aktiv mitgemacht haben, sind längst tot. Dass der Franzosenverband in einer anderen Zeit und unter anderen politischen Vorzeichen zu einer Bereicherung hätte werden können, ist gut vorstellbar. Möglicherweise wäre es ihm gelungen, den Nachfahren der französischen Siedler so etwas wie eine französische Identität zu geben. Wie die Banater Deutschen heute eine lebendige Brücke und Mittler zwischen Rumänien und Deutschland sind, so hätten die Banater Franzosen zu einer Brücke und zu Mittlern zwischen Rumänien und Frankreich werden können.